■ Ökolumne: Riskierter Plutod Von Thomas Worm
Der römische Gott der Unterwelt – Pluto – hat eigentlich einen Januskopf. Sein eines Gesicht strahlt harmlos und bringt die Welt zum Leuchten. Die andere Seite giftet und steht kurz vor dem Zornesausbruch. Mythische Allegorie für ein Energiekonzentrat: Plutonium. Radioaktiv, supertoxisch, bombenträchtig. Etwa 1.100 Tonnen des Kunstmetalls, von dem wenige Millionstel Gramm tödlich wirken, wandern weltweit durch Atomkraftwerke, Wiederaufbereitungsanlagen, Transportbehälter, Raketensilos – und durch die Finger von Schwarzmarkthändlern. Bis zur Jahrtausendwende werden nochmal 600 Tonnen dazugebrütet.
Die Plutoniumwirtschaft wuchert. Sie hat eine unüberschaubare Infrastruktur hervorgebracht: Dutzende AKWs, Hunderte Zwischenlager, Tausende von Brennstofftransporten. Eine endlose Kette neuralgischer Punkte, wo verdecktes Abzweigen oder offener Raub des Spaltstoffs möglich sind. Vom Bombenmaterial Uran 235, das global zirkuliert, gar nicht erst zu reden.
„Die Gefahr einer unfriedlichen Nutzung der Kernenergie“, dies schwante Siemens-Chef Heinrich von Pierer bereits vor drei Jahren, „wird zu einer erneuten und noch stärker sensibilisierten Diskussion der Nichtverbreitungsproblematik führen.“ Eine unliebsame Diskussion, denn sie schadet dem Image der Reaktorerbauer. Das Risiko der Weitergabe von zivilem Plutonium oder U235 für primitive Atombomben, das wissen inzwischen alle Beteiligten, muß einkalkuliert werden. Die Haftung dafür indes – sofern es sie für diesen Irrsinn überhaupt geben kann – lehnen die Plutoniumfreunde ab. „Die Technik zum Bau der Atombomben ist leider Gottes vorhanden“, bedauert etwa Michael Brinkert vom Deutschen Atomforum, um dann aber klarzustellen: „Wer das Know-how hat, kann sie bauen, das hängt nicht von der zivilen Nutzung ab.“
So aber stimmt das nicht. Neben der Sprengsatztechnologie – das präzise Zünden der kritischen Masse – benötigt man für den Bau von Atombomben vor allem hochangereichertes Plutonium oder Uran 235. Zivil genutzte Atomanlagen produzieren dieses Zeug en masse. Um das Material für eine „schmutzige“ Sieben- Kilogramm-Bombe von Hiroshima-Stärke zusammenzukriegen, wäre vom weltweit vorhandenen Plutonium nur die unvorstellbar winzige Menge von 0,000007 Prozent abzuknapsen. Wem sollte das auffallen?
Längst beschränken sich Meldungen wie „Gestohlenes U235 in Privathaus gefunden“ nicht mehr auf die Ruinen des einstigen Sowjetreichs mit seinen über 14.000 Nuklearanlagen. Der Plutoniumschwund ist auch zur Krankheit der High-Tech-Nationen geworden. In Japans Brennelementfabrik Tokaimura sind 70 Kilo Plutonium nicht mehr auffindbar. Bis zu einer Vierteltonne können unbemerkt aus einer Wiederaufarbeitungsanlage verschwinden, rechnet das Massachusetts Institute of Technology vor.
Alles nur flüchtige Stäube? Filterablagerungen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Die internationale Atomenergieorganisation IAEO jedenfalls hat das Problem nicht im Griff, sie konstatiert den Schwund nur im nachhinein. Und so spucken zivile AKWs allerorten den Stoff mit 24.000jähriger Halbwertzeit weiter aus, schippern Plutoniumfähren über die Meere, rollen Tag für Tag heiße Brennstoffcontainer durch die Welt. Ein Riesennetz verwundbarer Stellen.
Muß also erst eine Atombombe, gefüllt mit den atomaren Früchten der „friedlichen Nutzung“, im Zentrum von Seoul, Hamburg oder St. Petersburg hochgehen, bis die Plutoniumwirtschaft abgewirtschaftet hat? Müssen erst Hunderttausende den Plutod sterben, egal ob durch terroristische Erpressung, nationalistischen Wahn oder fundamentalistische Rache?
Nochmal: Der entscheidende Schritt zum Atompilz ist der Zugang zu bombenfähigem Spaltstoff. Seit dem Ende des Kalten Krieges haben die zivilen Hersteller die militärischen abgelöst. Nun potenziert das durchlässige Geflecht der Plutoniumwirtschaft die Gefahr der Weitergabe von Atomsprengstoff. Wäre dem nicht so, könnte sich die Nukleargemeinde doch auf folgenden Vorschlag einlassen: Für jedes Kilo Plutonium, dessen Verbleib nicht zu klären ist, wird eines der weltweit über 400 AKWs abgeschaltet. Bei so viel Schwund wie jetzt würde die Energiewende schnell Realität. Wären die Atomenergiejünger in Sachen Proliferation keine Heuchler – sie ließen sich drauf ein.
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