: Der Knaller aus Bielefeld
Der 19jährige Hendrik Dreekmann spielt heute im Viertelfinale der French Open gegen den Schweden Magnus Larsson ■ Eine Hommage von Manfred Kriener
Berlin (taz) – Paris: Das war der Abschied von den großen Alten. Martina Navratilova, Gabriela Sabatini, Stefan Edberg, Ivan Lendl, Mats Wilander, Andre Agassi, Henri Leconte – sie alle sind frühzeitig ausgeschieden. Ein bißchen wehmütig haben wir mit angesehen, wie sie von den jungen Wilden erbarmungslos über den Platz gescheucht wurden. Und Boris Becker ist gleich gar nicht angetreten.
Aber dann war da dieser 19jährige Youngster aus Halle, 89. der Weltrangliste, der als letzter deutscher Herren-Mohikaner zuerst seinen Namen buchstabieren mußte und dann zu erklären hatte, was er am liebsten zu Mittag esse, ob er Briefmarken sammle und wie denn bitte schön seine Freundin heiße, die solidarisch seine Erstrundenerfolge auf einsamen Nebenplätzen verfolgte, inzwischen aber aus Paris abgereist ist, weil ja kein Mensch ahnen konnte, daß ihr Partner länger als eine Woche im Turnier bleiben würde. Inzwischen sind alle Fragen beantwortet (Chicken süß-sauer, keine Briefmarken, Andrea), und man weiß auch, daß Hendrik Dreekmann Tennis spielen kann. Und wie!
Der Junge ist einfach gut. Knackiger Aufschlag, Mut zum Netzangriff, Intuition, schöne Stopps, ein Händchen für die kleinen Bälle. Was Hendrik Dreekmann bisher beim wichtigsten Sandplatzturnier der Welt, den French Open, gezeigt hat, war großartiges Tennis. Wohlgemerkt: Er ist erst 19 und spielt gerademal sein zweites Grand-Slam-Turnier. Und jetzt steht er im Viertelfinale der besten Acht, nachdem er Cracks wie den Weltranglisten-15. und Sandplatzspezialisten Carlos Costa (Spanien), den US-Amerikaner Richey Reneberg und den haushohen Favoriten Aaron Krickstein (USA) aus dem Wettbewerb befördert hat.
Im Achtelfinale gegen Krickstein demonstrierte Dreekmann nochmal, was er draufhat. Endlich mal einer, der wieder eine saftige Vorhand spielt. Nicht dieses ewige Topspin-Generve, sondern direkte, harte Schläge mit toller Beschleunigung. Der Schnellste ist Dreekmann nicht, aber er hat Spielwitz – und die Ruhe weg. Irgendjemand hat ihn den „Knaller aus Halle“ getauft. Großer Quatsch: Erstens kommt er aus Bielefeld, zweitens ist er schwer phlegmatisch, und drittens sieht er aus wie ein Theologiestudent im ersten Semester. Ob's mit ihm eine neue Becker-Erfolgsstory gibt? Mit 19 ins French-Open-Finale? In der nächsten Runde wartet heute erstmal der Schwede Magnus Larsson, und den kann er tatsächlich packen, wenn er so gut spielt, wie in den letzten beiden Matches. Dann wäre Dreekmann im Halbfinale, entweder gegen den Kroaten Goran Ivanisevic oder den Spanier Alberto Berasategui.
Natürlich wird er zunächst einmal kräftig in Rückstand geraten, mindestens 0:3. Das bißchen Adrenalin braucht er, um wach zu werden, denn ein wenig verträumt ist er schon, der sogenannte Knaller aus Bielefeld. Auf jeden Fall, selbst wenn Dreekmann ausscheidet, haben wir einen neuen Tennisspieler mit großem Potential gesehen, der in dieser Form hierzulande die Nummer zwei ist. Auf Sand, aber nicht unbedingt nur dort. Bei Goellner, dem anderen Youngster, haben wir erlebt, wie schnell solche Höhenflüge zu Ende gehen können. Von ihm blieb nichts übrig außer einer verdrehten Baseballmütze. Aber Dreekmann ist nicht Goellner und spielt oben ohne. Und seine Vorhand ist einfach wunderbar.
Wehe, der Junge wird noch besser...
Viertelfinale, Frauen: Steffi Graf (Brühl) - Ines Gorrochategui (Argentinien) 6:4, 6:1; Mary Pierce (Frankreich) - Petra Ritter (Österreich) 6:0, 6:2
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