: Braunes Blubberwasser
Eine Ausstellung zum Mythos Coca-Cola in Osnabrück geriet zur frechen Werbeveranstaltung ■ Von Stefan Koldehoff
Glaubt man den Recherchen des amerikanischen Wirtschaftsjournalisten Mark Prendergrast, dann steckt das Geheimnis des Erfolgs in einer Mixtur aus Zitrat- Koffein, Vanille-Extrakt, Koka- Flüssigextrakt, Zitronensäure, Limonellensaft, Zucker, Wasser, Karamel und insgesamt zweieinhalb Unzen der 7X-Formel aus Orangen-, Limonen-, Muskatnuß-, Zimt-, Koriander- und Neroliöl und einem Quart 95prozentigen Alkohols. Diese Zutaten rührte der Arzt und Apotheker John Pemberton 1885 in Atlanta zusammen, um eine neuartige Universalmedizin zu entwickeln und damit angesichts der Ende vergangenen Jahrhunderts in den USA herrschenden Koka-Euphorie viel Geld zu machen. „Die Kokapflanze bewahrt nicht nur die Gesundheit“, hatte Pemberton im selben Jahr in einem Aufsatz geschrieben, „sondern wirkt bis ins hohe Alter lebensverlängernd und versetzt die Kokakonsumenten in die Lage, wahre Wunder an geistiger und körperlicher Arbeit zu vollbringen.“ Das im vergangenen Jahr zum erstenmal bekannt gewordene Rezept erfuhr noch einige kleine Änderungen und Tests in „Venable's Sodabar“, bevor ihm Pembertons Partner Frank Robinson den Namen Coca-Cola gab. 1903 wurde das Kokain gegen Ersatzstoffe ausgetauscht – ein Getränk trat von Atlanta aus seinen Siegeszug um die Welt an.
45 Liter des braunen Blubberwassers rinnen jährlich im Schnitt durch jede bundesdeutsche Kehle. Die Mechanismen, die dazu geführt haben, daß die klebrige Koffeinlimonade heute in 195 Staaten der Erde – mehr als Mitglied in der UNO sind – zu kaufen ist, untersucht die Ausstellung „Der Mythos aus der Flasche – Coca-Cola- Kultur im 20. Jahrhundert“. Dem mit dem Titel verbundenen universalen Anspruch wird das für Konzeption und Präsentation der kulturgeschichtlichen Spurensicherung verantwortliche Design-Zentrum Nordrhein-Westfalen aber nur ansatzweise gerecht. Während die kommunikationstheoretischen Aspekte sorgfältig aufbereitet werden, bleibt durch die Beschränkung auf die marketing-relevanten Bezugspunkte das massenpsychologische Phänomen Coca-Cola weitgehend unbeachtet. Das eigentlich spannende Projekt wird so zur vordergründigen Werbeshow für den Sponsor Coca-Cola.
Private Coke- Collection
Die Osnabrücker Ausstellung zeigt in epischer Breite vor allem die private Coke-Collection des Osnabrücker Cola-Konzessionärs Franz-Herbert Heydt. Seit er vor acht Jahren durch Zufall auf dem Dachboden einer alten Scheune tonnenweise noch originalverpacktes Werbematerial aus den fünfziger und sechziger Jahren fand, sammelte der 47jährige alles, was den geschwungenen weißen Schriftzug auf rotem Grund trägt. Zu sehen sind Getränkeautomaten, Spielzeuglaster, Flaschenöffner, Anstecknadeln, Emailschilder und sogar ein kompletter amerikanischer Cola-Lieferwagen aus den fünfziger Jahren.
Der zweite, erheblich kleinere, aber trotzdem bedeutendere Teil der Exponate kommt direkt aus dem firmeneigenen Coca-Cola- Museum in Atlanta. Vor allem die zahlreichen Werbetafeln, -poster, -displays und -filme machen deutlich, wie schnell Pembertons Nachfolger Asa Candler daran ging, nicht allein ein Getränk zu vermarkten, sondern über Image und Mythos ein Gefühl der Unersetzbarkeit zu erzeugen. Dabei richtete sich die Publikumswerbung der noch jungen Firma zu Beginn des Jahrhunderts zunächst an eine eher privilegierte intellektuelle und erfolgsorientierte Käuferschicht, der die inzwischen als Heilmittel patentierte Coca-Cola von aufgeputzten Damen und blasierten Herren als Aufputscher angeboten wurde. „The classes and masses, all enjoy Coca-Cola“, lautete dann aber schon um 1907 ein Werbeslogan, mit dem der Aufstieg zum Volksgetränk beginnen sollte. Flankierende Maßnahmen wie Product placement in Hollywood-Filmen, Rundfunk- und Filmwerbung ab 1927, die erste Leuchttafel am New Yorker Times Square 1929 und eine konsequente Corporate identity führten schnell zum gewünschten Erfolg.
Kein anderes Unternehmen investierte so viel Geld in Werbung wie die Coca-Cola Company. „Coca-Cola steht mit dem Konsumenten auf und geht mit ihm zu Bett“, faßte die Zeitschrift Advertising Age die Bemühungen schon 1930 zusammen. Am deutlichsten wird das an der Father-Christmas- Kampagne, die der schwedische Designer Sandblom etwa in dieser Zeit entwarf: Hatte der Weihnachtsmann in den verschiedenen Ländern der Erde vorher durchaus unterschiedliche Auftritte gehabt, so erschien er fortan nur noch in roter Kleidung mit weißen Borten und Rauschebart. Bis heute ist das von Coca-Cola in den Unternehmensfarben eingeführte Bild tief im kollektiven Bildgedächtnis verwurzelt geblieben. Die 1916 von der Roots Glass Company in Philadelphia für Coca-Cola entwickelte und bis heute beibehaltene „Konturflasche“, laut Ausstellungsleiter Peter Zeck „das beste Design der Welt“, sorgte zudem für unüberbietbaren Wiedererkennungswert eines Produktes, das überall auf der Welt erhältlich ist.
Weltweit erhältlich wurde Coca-Cola zum Symbol der Weltmacht Amerika. „Sorry, wir haben nicht begriffen, daß das Produkt jetzt euch gehört“, entschuldigte sich konsequenterweise der amtierende Coca-Cola-Präsident Roberto Goizueta – ausgerechnet ein Kubaner – in einer Fernsehansprache, nachdem täglich 150.000 Protestbriefe die Antwort auf seine Entscheidung waren, die Originalrezeptur der Brause ersatzlos für eine New Coke zu verändern. „Changing Coke is like burning the flag“, stand in einem davon. Nach vier Wochen wurde die Entscheidung zurückgenommen und Classic Coke wieder eingeführt.
Kritisches nicht zugelassen
Diese durchaus spannenden kommunikationstheoretischen Erkenntnisse werden in Osnabrück sorgfältig beleuchtet. Eine kleine Abteilung zeigt außerdem, wie sich Beuys, Warhol und Ramos mit dem Thema Coca-Cola auseinandergesetzt haben und wie sich renommierte zeitgenössische Designer die Dose fürs nächste Jahrtausend vorstellen. Wesentliche, weitergehende Kapitel der Coca- Cola-Story bleiben in der am Wohnort des Hauptleihgebers zusammengestellten Ausstellung aber bewußt außen vor. „Für uns steht das Design im Vordergrund. Wir wollten keine Sozialgeschichte des Unternehmens erarbeiten, sondern die Entwicklung und Vermittlung des Produkts und den kulturellen Einfluß von Coca-Cola auf das Zeitgeschehen untersuchen“, beschreibt Peter Zec als Geschäftsführer des vom Bundesverband der Industrie finanzierten Design-Zentrums NRW die Intention seines Ausstellungsprojektes. „Wir haben vor drei Jahren mit der Reihe ,Mythen des Alltags‘ begonnen und uns bereits mit Tupperware und Fernsehen auseinandergesetzt. Jetzt ist Coca-Cola dran.“
Daß auch die Hauptleih- und -geldgeber kein großes Interesse etwa an einer ideologischen Auseinandersetzung mit dem Weltmachtsanspruch der Coca-Cola Company gehabt hätten, wischt der Medienwissenschaftler lapidar vom Tisch: „Wir haben uns am Mythosbegriff von Roland Barthes orientiert, der besagt, daß ein Mythos weder ideologisch noch politisch sein kann, weil er sonst gar nicht funktionieren würde.“ Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, geht die Osnabrücker Ausstellung weder auf die aggressive und von Kritikern als kulturimperialistisch gebrandmarkte Expansionspolitik des amerikanischen Unternehmens ein noch auf die Kooperation des 1929 gegründeten deutschen Ablegers mit den Nationalsozialisten. Selbst im reichlich bunt bebilderten Katalog wird nur kurz erwähnt, daß während der Olympiade 1936 in Berlin Coca-Cola angeboten und die Produktion 1942 nur deshalb eingestellt wurde, weil der Krieg keinen Transport des Rohsirups mehr zuließ. Als Ersatz entwickelten die deutsche Konzessionäre auf Molkebasis die Limonade „Fanta“.
Interessant wäre an dieser Stelle auch eine ausführliche Analyse der patriotischen und volkstümelnden Coke-Werbung im Nationalsozialismus gewesen, ebenso wie die häufigen Auseinandersetzungen zwischen den Gewerkschaften und dem Limonadenkonzern, während derer der Coca-Cola Company einmal sogar der Mord an einem Arbeitnehmervertreter vorgeworfen wurde. Zum von Zec genannten „Einfluß von Coca-Cola auf das Zeitgeschehen“ hätte dieser Themenkreis unbedingt gehört. Mark Prendergrast geht in seinem – von der Coca-Cola Company nicht autorisierten Buch – ausführlich darauf ein.
Ausgespart wird schließlich auch der ökologische Aspekt. Schon im Vorfeld hatte es im Osnabrücker Stadtrat heftige von den Grünen angeregte Debatten darüber gegeben, ob man die altehrwürdige Dominikanerkirche überhaupt für die Werbeveranstaltung eines multinationalen Großkonzerns zur Verfügung stellen soll, der nach wie vor weltweit Millionen von Einwegdosen produzieren und verkaufen läßt. Das ebenfalls protestierende „Aktionszentrum 3. Welt“ in Osnabrück wurde schließlich mit Geldmitteln für eine Broschüre zur Weißblechproblematik und der Erlaubnis für einen Infostand gegenüber der Kunsthalle zufriedengestellt; den Rat der rot-grün regierten Stadt Osnabrück überzeugten schließlich die Argumente des renommierten Design-Zentrums NRW.
Der Katalog als Werbebroschüre
Daß sich dessen Verantwortliche allerdings in Zeiten allgemeiner Geldknappheit von ihren potenten Geldgebern haben einwickeln lassen, führt noch einmal deutlich die als Katalog getarnte gebundene Werbebroschüre zur Ausstellung vor Augen. Während auch hier fast alle Coca-Cola-kritischen Aspekte unter den Tisch fallen, nimmt der selbstbeweihräuchernde Aufsatz „Coca-Cola heute. Markenpflege und Markenimage – eine Frage der Qualität“ des Coke-Deutschland- Chefs Heinz Wiezorek drei, ein mehr als peinliches Interview mit dem Osnabrücker Devotionalien- Sammler Heydt einschließlich Porträtfoto sieben und ein Gespräch mit dem Leiter des seit seiner Gründung 1990 von mehr als einer Million Menschen besuchten Coca-Cola-Museums in Atlanta, Philip F. Mooney, noch einmal vier kostenlose Werbeseiten ein. „Dies ist für unser Unternehmen die wichtigste Ausstellung, die es jemals über Coca-Cola gegeben hat“, kommentierte Mooney die Osnabrücker Veranstaltung. Er wird wissen, warum...
„Mythos aus der Flasche – Coca- Cola-Kultur im 20. Jahrhundert“. Kunsthalle, Dominikanerkirche, Osnabrück, bis 10. Juli. Der Katalog, 120 Seiten mit zahlreichen Farb- und Schwarzweiß-Abbildungen, kostet unverschämte 40 DM (danach 49.80 DM).
Mark Prendergrast: „Für Gott, Vaterland und Coca-Cola. Die unautorisierte Geschichte der Coca- Cola Company“. 512 Seiten mit acht Seiten Schwarzweiß-Abbildungen, Zsolnay Verlag, 48 DM.
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