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Only in it for the kicks

■ Von der Knitting Factory haben Sie gehört, aber kennen Sie auch David Tronzo? Diesen Gitarristen, von dem jeder spricht?

Das „Musician Magazine“ zählt ihn bereits zu den bedeutendsten Gitarristen dieses Jahrhunderts. David Tronzo, der „neue Held der Slide-Gitarre“, ist Autodidakt und erzählt gerne, er habe mit 13 bereits gewußt, welchen Sound er wollte. Das kann natürlich keiner überprüfen, aber der skeptische Zeitgenosse bemerkt zumindest: Im Gegensatz zu zahllosen anderen Newcomern imitiert Tronzo nicht die gängigen Gitarrenklischees, sondern orientiert sich an sogenannten „Non-Guitar Instruments“, den Stimmen von Aretha Franklin und James Brown zum Beispiel. Der heute 36jährige Tronzo spielte mit John Cale, John Hiatt, den Lounge Lizards, David Sanborn und zahlreichen Musikern des Knitting-Factory-Pools. Mit dem Trio Spanish Fly spielte er Musik zu Robert Altmans Film „Short Cuts“ ein, coverte Nirvana-Songs und nennt das Ganze „Grunge- Jazz“. Die von Hal Willner produzierte Spanish-Fly-CD „Rags to Britches“ und die Dave-Tronzo- Trio-CD „Roots“ (beide auf „Knitting Factory Works“) sind gerade erschienen. Tronzo tourt mit seinem Avant-Delta-Blues-Trio im Knitting-Factory-Sammelpack mit dem Gitarristen Jimno und dem Billy Tipton Memorial Saxophone Quartet.

taz: Seit 1979 leben Sie in New York. Ist es schwerer geworden, sich dort als Musiker durchzuschlagen?

Dave Tronzo: Ich bin kein studierter Musiker, der von outside kommt. Ich verstehe mich eher als praktizierender Musikologe, der durch das Spielen lernt. Das nenne ich: to come from the inside. Ich ging nach Nashville, um zu lernen, wie die Real Country Guitar gespielt wird. In New Orleans studierte ich den Blues; nicht den, der überall da unten im Radio zu hören ist, sondern jenen, den die Leute auf dem Lande spielen, Typen zum Beispiel, die nie ihre Farm verlassen. Eigentlich habe ich die meiste Zeit meines bisherigen Musikerlebens mit dieser Art Studien zugebracht. Als ich nach New York kam, habe ich fast vier Jahre lang als einziger Weißer in der Hausband einer New Yorker Baptistenkirche gespielt. Das hat mein Leben verändert. Aber eben auch viel Zeit gekostet; Lebenszeit, in der andere Dutzende von Platten machen.

Wurden Sie von den schwarzen Kirchengemeinden akzeptiert?

Mit der Hausband begleiteten wir Gottesdienste in Harlem, Brooklyn und Newark, wir tourten im Laufe der Jahre fast durch das gesamte Netzwerk der schwarzen Gemeinden New Yorks. Ich kam zu der Band durch die Serenity Singers, eine New Yorker Gospelgruppe. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß Gospel mit populärer Unterhaltungsmusik absolut nichts zu tun hat. Das wird oft nicht bedacht, wenn man hört, welche Probleme Aretha Franklin einst mit der Kirche bekam. Gospelplatten werden nicht gemacht, um verkauft zu werden. Blues und Gospel haben zwar den gleichen Sound; das eine Genre jedoch ist weltlich, das andere kirchlich und strikt vom anderen getrennt.

Sie luden mich also ein, nachdem sie mich irgendwo in einem Club gehört hatten. Und ich betrat dann eine Welt, von der ich vorher nichts geahnt hatte. Jeden Sonntag acht Stunden spielen ohne Pinkelpause – und die Leute sind wie hypnotisiert. Später war es auch meine Aufgabe, den Prediger während der Zeremonie auf der Sologitarre zu begleiten. Wie diese Leute predigen, das ist unbeschreiblich. Sie bauen die Predigt wie ein Konzert auf – bestimmte Themen, die immer wiederkehren und Improvisationen, wie du sie von keinem Jazzmusiker je gehört hast. Diese Guys heben regelrecht ab – 'ne Jazzplatte klingt dagegen wie ein fades Eintopfgericht. Und die Leute kreischen, schreien und stampfen. Hast du mal ein James-Brown- Konzert gesehen? Aus diesem Stoff ist seine Performance.

Als einziger Weißer in diesen All-Black-Neighborhoods zu verkehren war mitunter ganz schön tough. Die Leute fragten, was dieser weiße Motherfucker in ihrer Kirche verloren hat, man riet mir meist ab, allein das Haus zu verlassen, und oft mußte ich mich auf dem Hintersitz des Autos verstecken, wenn wir zum Gottesdienst fuhren. Mir ist aber nie etwas zugestoßen, im Gegenteil. Später habe ich mich auch öfters mit der U-Bahn auf den Weg zur Kirche gemacht, und wenn ich mit meinem Verstärker unterm Arm durch die Neighborhoods ging, wurde ich von den Guys an der Ecke häufig gefragt, wo denn der Gig stattfinde. In New Orleans ist es mir auch nicht anders ergangen. Ich ging in diese All-Black-Blues- Joints, steckte das Kabel in den Bühnenverstärker und begann zu spielen. Ich habe erfahren, daß Musik – und Blues insbesondere – kommunikative Kunst ist.

Konnten Sie von dieser Arbeit leben?

Nein, wir haben alle kein Geld dafür bekommen. Und tatsächlich habe ich mich über ein Jahr lang immer wieder gefragt, warum ich das mache. Heute weiß ich: I did it just for kicks. Ich erinnere mich da an Situationen, wo die Kirchgänger mich nicht akzeptieren wollten und der Prediger dann sagte: „Tronzo ist mein Freund. Wenn ihr Probleme mit ihm habt, bekommt ihr welche mit mir.“ Oder an die alte Frau, die nach dem Dienst zu mir kam und sagte: „Son, you really played some notes today.“ Das sind Erfahrungen, die du dir nicht für Geld kaufen kannst.

Was haben Sie mit der Radical- Jewish-Culture-Szene zu tun, dem Versuch einer Avantgarde aus jüdischen Traditionen, die ja auch zum Umfeld der Knitting Factory gehört und vor einigen Monaten durch Europa tourte?

Das ist eine sehr undurchsichtige Geschichte. Ich habe damit eigentlich nichts zu tun, aber selbst ein Maker und Shaker wie Mark Ribot hält sich in der Sache erstaunlich bedeckt. Ich selbst bin ja auch nicht jüdischer, sondern italienisch-russischer, römisch-katholischer Abstammung, spiele aber gelegentlich mit den Avant-Juden zusammen. Der Spanish Fly- Trompeter Steve Bernstein kommt aus dieser Szene, und das hört man sicher auch in unserer Musik. Am 20. Juni werden wir beim „What Is Jazz?“-Festival gemeinsam mit Frank Londons Radical Jewish All-Star Band auftreten. Ich denke, daß sich bei dieser Szene spirituelle mit politischen Absichten mengen. Genaueres ist aber schwer zu erfahren. Interview: Christian Broecking

Termine:

Heute, 21 Uhr: Berlin, Parkhaus Treptow; 7. Juni: Regensburg; 10. Juni: Dortmund; 12. Juni: Tübingen; 15. Juni: Hannover; 16. Juni: München

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