Wand und Boden: Das poetische Archiv absonderlicher Dinge
■ Kunst in Berlin jetzt: Peter Zimmermann, Daniel Spoerri, Pierre Molinier
Was man von Reisen mitbringt, kann einem niemand mehr nehmen, so in etwa sah die touristische Perspektive der Eltern im Wirtschaftswunder aus. Seither steht Venedig als mundgeblasenes Glashündchen auf der deutschen Anrichte. Der Münchner Peter Zimmermann nennt seine Ausstellung Reise nach Malawi. Er zeigt Tafelbilder, schmuckvoll geschnitzte Totempfähle und Möbel, die wie Bongotrommeln mit Kuhfell bespannt sind. Glaubt man dem Galeristen, war die Sehnsucht nach Afrika Mutter aller Produktion. Trotzdem hat Zimmermann es nicht bei gemalten Erinnerungen an das ferne Land belassen, sondern sich vor Ort kulturelle Spezialitäten mit angeeignet. Ein Graffiti-Gauguin mit Punk-Vergangenheit: Wild verrenkt tanzen die Menschen auf seinen Bildern und nehmen zuweilen recht eckige Körperhaltungen an. Die Kulte jedenfalls mischen sich, es gibt psychedelische Initiationsszenen, symbolisch dräuende Schlangenornamente und ein DJ-Soundsystem, das auch in Kingston, Brooklyn oder Brixton am Straßenrand stehen könnte. Nur die Farben sind ganz anders. Jedes Gelb, Rot oder Blau wirkt so gesättigt, beinahe abstrakt, als wäre es Zeugnis einer mit sich ins Reine gebrachten Natur, die ungebrochen in all den x-beliebigen Dingen vorscheint. Selbst in Serie gehängt bleibt diese Einmaligkeit erhalten. Das aber ist gerade der Trick, den Zimmermann afrikanischen Stammeskünstlern im Umgang mit Farbe abgeguckt hat. Die Qualität der Exponate ist nicht das Dargestellte, sondern die Darstellung. Barnett Newman hat an diesem Problem sein Leben lang gemalt, in Afrika gehört die Lösung scheinbar zur Tagesordnung – und Zimmermann profitiert von beidem. Im Haus der Kulturen der Welt wird derweil darüber nachgedacht, ob man Holzfiguren und Stammesschätze aus Tansania, dem Nachbarn im Norden Malawis, zurück ins Erzeugerland schicken soll, damit die Kunst ihre ursprüngliche „Aura“ wiedererlangt. Man muß die Modernität der Dritten Welt schon ernster nehmen.
Bis 11. 6., Mi-Fr 16.30-19 Uhr, Sa 11-14 Uhr; Fischer Kunsthandel & Edition, Carmerstraße 14
Auch Daniel Spoerri gibt nicht gerne Dinge verloren, noch weniger allerdings preis. Seine spontan je nach Lebenssituationen zu Fluxus-Kunst assemblierten gedeckten Frühstückstische und Werkbänke dokumentierten zwar das Momenthafte in seiner unendlichen Verlängerung. Zeitlos aber wurde es dadurch nicht. Spoerri diente in den achtziger Jahren mehr als Vaterfigur für Stahl-, Collagen- und Fragment-Bastler, die eigene Produktion dagegen geriet mehr und mehr zum poetischen Archiv absonderlicher Dinge. Industrie-Surrealismus. Inzwischen hat er einen großen Verbündeten in der Geschichte gefunden: Denis Diderot legt mit seiner enzyklopädischen Sammlung anatomischer Zeichnungen den Grundstein der neuen Arbeiten, die bis zum 1.7. in der Raab Galerie zu sehen sind. Die „doppelte Chirurgie“ wird noch einmal gespiegelt. Auf Stichen mit Detailbildern von medizinisch zerpflückten Männergliedern hat Spoerri kunstvolle, doch eher artfremde Dildos aus Holz geklebt, aus deren Eichel grüne Perlen perlen. Andere Collagen zeigen auf ähnlich pathologischem Grund frühzeitliche Geburtszangen und Knochensägen. Das Phantasma vom transparent gemachten Körper wird noch einmal mit Zeichen überlagert: Bruitistische Penisnasen und Knopfaugen grinsen aus einem Gewühl von Lungenkranzgefäßen hervor. Der Schock währt nur für den, der sich mit dem Wunsch nach Sichtbarkeit identifiziert. In günstigeren Fällen ergänzt sich kunstvoll drapierte Echsenhaut mit dem darunterliegenden Gesicht als Schnittfläche, die nicht thematische, sondern handwerkliche Überschneidungen offenlegt. Manchmal sieht der Mutterkuchen als Tabula rasa auch bloß nach dummen Witzen aus.
Le Cabinet Anatomique, Mo-Fr 10-18.30 Uhr, Sa 10-14 Uhr, Potsdamer Straße 58
Pierre Molinier hat an seinen Obsessionen bis zum Ende festgehalten. 1976 nahm sich der 76jährige mit einem Revolver das Leben. Ein mannshoch vergrößertes Foto auf nachtblauem Plüschgrund zeigt den hageren Mann schon in den fünfziger Jahren bei Übungen mit der verehrten Pistole. Auch sonst ist die Hommage an den obskuren Libertin sehr dezent und doch liebevoll ausgefallen. Die NGBK hat sich bei ihrer Retrospektive auf das erotische, zumeist mit schlichten Kleinformaten festgehaltene Fotowerk des finsteren Narzißten konzentriert. Ein frühes Portrait zeigt Molinier noch als schmollmündigen Jungdandy, später bevorzugt der zum Kreis der französischen Surrealisten zählende Molinier Masken, Netzstrümpfe, Corsagen und mächtige Godemichés. Mal verlängert ein Husarensäbel das Gemächt, mal steckt ein kräftiger Dildo zwischen den Pobacken. Während seine „peinture antimorale et ésotérique“ vorwiegend aus weich geschichteten Akt- und Naturstudien bestand, hat Molinier auf Fotomontagen den Körper radikal auseinandergenommen. Zwischen seinem eigenen, freigelegt angebotenen Hintern und einem nach innen gekehrt lächelnden Frauengesicht bestehen kaum mehr Unterschiede. Die Schönheit liegt in der Ornamentierung, der streng reglementierten Wiederholung von obszönen Gesten, deren Auflösung Molinier zugleich mitbetreibt. Irgendwann türmen sich die Ärsche zur Partitur: „Sur le pavois“, in den Himmel gehoben. Schwer zu glauben, daß dieser Mensch einen tibetanischen Tempel mit Gemälden ausschmücken sollte.
„Der Schamane und seine Kreaturen“, bis 3.7., täglich 12-18.30 Uhr, Oranienstraße 25 Harald Fricke
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