: Pop-art als Postmoderne
„Mehr Wasser und weniger Jack“: Robert Rauschenberg als Gast seiner Ausstellung in Düsseldorf ■ Von Stefan Koldehoff
Alt ist er geworden, grau und müde – wie die meisten seiner Bilder. Die Treppe meidet Robert Rauschenberg, für die paar Stufen hinauf zur Pressekonferenz in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen nimmt der 68jährige lieber den Aufzug. „Are we ready?“ wird er sich nach den ersten beiden zögerlich gestellten und mit jeweils zwei Sätzen beantworteten Fragen beim Hausherrn Armin Zweite erkundigen. „Den Rest können wir ja unten in der Ausstellung erledigen“, antwortet der beruhigend und geleitet seinen Gast zurück zum Aufzug, bevor der Pressetermin zur Autogrammstunde gerät.
Faltblattpoesie – at its best
Robert Rauschenberg sei besonders in Deutschland der vergangenen beiden Jahrzehnte zu sehr aufs historische Abstellgleis gedrängt worden, hatte Zweite noch kurz zuvor in seiner Einleitung apodiktisch festgestellt, und damit durchaus richtiggelegen. Zwar hatte noch 1980/81 eine umfassende Ausstellung in Berlin, Düsseldorf und München die damals neueren Arbeiten Rauschenbergs vorgestellt; kurz nach der Wende folgte dann unter anderem in der DDR die nicht sonderlich beachtete Ergebnispräsentation des weltumspannenden Multikultur-Projektes „Rauschenberg Overseas Culture Interchange“ (ROCI). Vor allem aber war der gebürtige Texaner in den deutschen Galerien und Museen als einer der Väter jener Pop- art präsent, die Anfang der neunziger Jahre ihr unerwartetes Revival erlebte. Mit neun Werken war Rauschenberg allein in der „Pop Art Show“ vertreten, die 1991/92 die Royal Academy of Arts in London und das Kölner Museum Ludwig zeigten.
Obwohl Rauschenberg seither viel neue Kunst produziert hat, wurden bis auf wenige Galerieausstellungen in erster Linie seine Collagen und Montagen aus den 60er und 70er Jahren gezeigt. Die allerdings werden ihres frühen Eklektizismus wegen inzwischen, so auch in Düsseldorf, dreist als Variante der Postmoderne verkauft, die „die Ästhetik des Zufalls mit einer kalkulierten Strategie verschränken, um den Verlust an globalen Utopien durch den geschärften Blick aufs Einzelne zu mildern“. Faltblattpoesie at its best. Andy Warhol wäre vergnüglich kichernd zusammengesunken.
Tatsächlich nämlich gelingt Rauschenberg so etwas wie der realistische Blick auf die Gesellschaft seiner Gegenwart bestenfalls in den Schrottobjekten seiner Serie „Gluts“. In der Tradition der „Objets trouvées“ trug Rauschenberg in Texas Fundstücke zusammen, die Zeugnis vom ökonomischen Verfall seiner Heimat ablegen: zerbeulte Autotüren und verrottende Jalousien, Baustellenabsperrungen und Straßenschilder. Beinahe zwanglos zu erstaunlich geschlossenen Formen arrangiert, zählt für Rauschenberg allein das ästhetische Ergebnis dieser Arbeiten. „Ich will den Leuten eine Erfahrung des Sehens vermitteln, die jeden Gegenstand in die Perspektive seiner vielen Möglichkeiten rückt“, erläutert er selbst jene Serie, die unvermittelt in der großen Halle der Düsseldorfer Kunstsammlung steht, „Das einzige, was ich aus dem Werk heraushalten möchte, ganz gleich um welche Materialien es sich handelt, ist die Geschichte des Prozesses ihres Zusammenfügens.“
Gegenwartsinventare auf Metallgrund
48 Arbeiten aus den Jahren 1985 bis 1992 hat nun die Düsseldorfer Ausstellung versammelt. Anlaß für die Rückschau war der Ankauf des großen Querformates „Orrery (Borealis)“ als viertes Rauschenberg-Werk für die Düsseldorfer Landesgalerie. In derem großem Wechselausstellungssaal und im ein Stockwerk darüber gelegenen und schon länger so genannten „Amerikaner-Saal“ glänzen die von Rauschenberg entworfenen und von fleißigen Helfern dann eloxierten und geätzten, mattgeschliffenen und polierten Aluminium- und Kupferfolien der Serien „Shiner“, „Phantom“ und „Galvanic Suite“.
Er liebe Spiegel, erklärt Rauschenberg die Wahl des neuen Bildträgers. Man könne sich selbst so gut darin sehen. Sonst hat sich nicht viel geändert: Noch immer setzt Rauschenberg seine Motive aus dem kollektiven Bilderfundus der Nachkriegswelt als Collagen und Montagen in Szene; von Amerika und seinen typischen Disney-, Kennedy- und Space-Shuttle-Themen aus hat er den eigenen Blick inzwischen auf die Welt ausgedehnt. Wirklich neu sind die Metallbilder allerdings nicht. Sie zeigen einen bekannten Robert Rauschenberg, der seine Gegenwartsinventare diesmal lediglich statt auf Leinwand auf Metallgrund aufgebracht hat.
Ob ihm die zeitgleich in Köln gezeigten Werke seines Sohnes gefallen, ist denn auch die einzige Frage, die während der Pressekonferenz an den Popgiganten gestellt wird. Seine eigenen Arbeiten sind längst gesichertes Terrain, Hunderte Male interpretiert und bedürfen keiner Fragen mehr: „Mehr Wasser und weniger Jack“, schickt jemand aus der Künstler-Entourage einen Museumsangestellten zurück, der Rauschenberg einen Whisky hatte reichen wollen. Dann nimmt er den Künstler in den Arm und geleitet ihn nach oben in sein Büro: „We have to do some work“ – 60 Ausstellungsplakate sind zu signieren, jedes Exemplar wird 450 Mark kosten.
Robert Rauschenberg. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. Noch bis 10. Juli.
Katalog (dt./engl.): 210 Seiten mit Farbabbildungen aller Exponate. DuMont Verlag Köln, Paperback 45 DM
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