Bonn ohne Weisungsrecht

■ Auch ohne Kanthers Segen können Länder Abschiebestopp verfügen

Wiesbaden (taz) – „Die Handlungsspielräume eines Bundeslandes bei der Anordnung von Abschiebestopps sind erheblich größer als bisher angenommen.“ Das ist das Ergebnis einer Rechtsexpertise, die im Auftrag der Bündnisgrünen im hessischen Landtag von dem renommierten Rechtswissenschaftler Brun-Otto Bryde erstellt und von Fraktionschef Rupert von Plottnitz gestern in Wiesbaden vorgestellt wurde.

Das Gutachten kommt zu der Auffassung, daß ein Bundesland selbst dann noch einen weiteren befristeten Abschiebestopp für die gleiche Gruppe von Flüchtlingen anordnen kann, wenn der Bundesinnenminister sein „Einvernehmen“ verweigert, und zwar dann, „wenn es neue Tatsachen zur Frage der Verletzung von Menschenrechten im Herkunfts- und Abschiebeland gibt.“

In Bonn und in den CDU-regierten Bundesländern herrschte dagegen bislang die Rechtsauffassung vor, daß einem Bundesland nur die Kompetenz zustehe, einen einmaligen Abschiebestopp für die Dauer von sechs Monaten zu verhängen. Für eine Verlängerung sei dann das „Einvernehmen“ des Bundesinnenministers zwingende Voraussetzung.

Weil Kanther im Falle abgelehnter AsylbewerberInnen aus Kurdistan sein „Einvernehmen“ für die von diversen Bundesländern angestrebte Verlängerung bereits bestehender Abschiebestoppregelungen für kurdische Flüchtlinge unisono verweigerte, kam es vor allem im rot-grün regierten Hessen zu einer ernsten Kontroverse zwischen den Bündnisgrünen und dem hessischen Innenminister Herbert Günther (SPD). Der hatte sich mit dem Verweis auf Bundesinnenminister Kanther (CDU) monatelang gegen eine von Menschenrechtsgruppen und Bündnisgrünen geforderte Verlängerung des Abschiebestopps gesperrt.

Generell stellte Gutachter Bryde fest, daß dem Bundesinnenminister im Bereich der Gewährung von Bleiberechten „kein etwa dem Atomrecht vergleichbares Weisungsrecht“ zustehe. Klaus-Peter Klingelschmitt