: „Denn es ist eine Sucht“
■ Ein kleines Dorf hört nicht auf, dem Vergessen des Oldtimers Widerstand zu leisten
Das Dreitausend-Seelen-Nest ist ein beschauliches Fleckchen Niedersachsen. Doch an einem Sonntag im Jahr, wenn es Juni wird, da ist die Bundesstraße 6 ungewöhnlich stark befahren. An dieser nämlich liegt Asendorf, vierzig Kilometer südöstlich von Bremen.
Asendorf bei Bruchhausen-Vilsen ist das Mekka einer wachsenden Fangemeinde: Derer, die Automobile oder Krafträder aus Zeiten verehren, als diese noch wie Automobile oder eben Krafträder aussahen, – den guten, alten Zeiten.
Asendorf. Das heißt vor allem: Automobil-Museum Asendorf. Sein Besitzer, der 45jährige Diplom-Ingenieur Joachim Pett, organisierte hier vor vierzehn Jahren sein erstes Oldtimertreffen. Seither trifft sich die große Familie der Vehikel-VerehrerInnen alljährlich in Asendorf. Man kennt sich, bestaunt die betagten Kisten, handelt mit Teilen oder sucht verzweifelt einen Scheinwerfer von 1950.
Doch vor allem: Man wartet auf alte Bekannte und freut sich, wenn sie kommen. So, wie bei jedem anderen Familientreffen. Heute werden es trotz schlechten Wetters wieder über 3.000 Menschen werden, mit ihnen rund 200 Fahrzeuge des guten Geschmacks.
Gerade fährt einer der Stars dieser Szene auf das Museumsgelände. „Der Dieter König kommt“, tuschelt es von allen Seiten. Und unter so manchen Oohs und Aahs wird der „Fiat 509 A Strich Spider“ aus dem Jahre 1927 publikumswirksam geparkt. Der Bedrohung durch einsetzenden Regen kommt der Bremer mit dem Aufbau eines Zeltdaches zuvor, worüber sich vor allem diejenigen freuen, die ihren Schirm zuhause vergaßen. Im Gedränge unter dem Zelt wird es dann technisch: „0,99 Liter Hubraum, 22 PS, obenliegende Nockenwelle, 75 Stundenkilometer Spitze.“
Gerade mal dreitausend Exemplare des Sportwagens wurden gebaut. „Und in Deutschland“, so König, „fahren heute gerade noch zwei Spider auf den Straßen“. Was so ein Auto kostet? Der Mann bleibt vornehm: „Man hat es, oder man hat es nicht...“
Matthias hat „es“ definitiv nicht. „Mein Chef gab mir neulich die Kündigung“, erklärt der 22jährige Schlosser aus Bremen freimütig. Und mit der ungewohnten Arbeitslosigkeit konfrontiert, steht sein altes Schätzchen nun zum Verkauf: Eine BMW-Isetta ist es, Baujahr 1960. Die Nuckelpinne Marke „Wirtschaftswunder“ erinnert an eine mehrmals eintretene Blechkugel mit Rädern. Ein komfortables Reiseauto ist das kaum. Die zwischen 1955 und '62 produzierte Asphaltblase bringt es bergab auf gerade mal 70 Kilometer. „Von Bremen nach Asendorf habe ich eine gute Stunde gebraucht“, erzählt Matthias, „und bei ein paar Steigungen wurde es schon recht kritisch mit dem Vorwärtskommen“.
Doch Isetta-FahrerInnen haben es nicht eilig. 7.500 Mark soll die Isetta mit Krad-Motor bringen. Da müsse er schon noch ein bischen auf ein Angebot warten. Matthias: „Sie ist zwar innen noch nicht neu lackiert, weist dafür aber eine echte Rarität auf: Diebstahlsicherung!“ In der Tat: Wo heutzutage Alarm-Anlagen ganze Wohnviertel um die Nachtruhe bringen können, setzten die Isetta-Konstrukteure noch auf Lärmschutz: „Kupplung durchtreten und mit einem Vorhängeschloß an der Karosserie festschließen.“ Dicht ist die Laube.
Matthias besitzt seine Isetta seit zwei Jahren. Seitdem fährt er regelmäßig zu Oldtimertreffen in die Umgebung. Die nämlich sind vor allem dann unersetzlich, wenn es um die Beschaffung dringend benötigter Ersatzteile geht. „Für die Isetta ist ja sonst nirgends mehr was zu bekommen“, meint Matthias, „und bei solchen Treffen auch nur zu sehr hohen Preisen“. So müßte der Isetta-Liebhaber für einen alten Auspuff seines Gefährts mindestens 500 Mark hinblättern, „falls Du überhaupt das Glück hast, einen zu finden. So ein Hobby kannst Du Dir nur leisten, wenn Du den Wagen auch selbst reparieren kannst.“
Ein paar Meter weiter läßt sich Michael, der wie viele andere seinen Nachnamen lieber geheim hält, umständlich ein Zündschloß zustecken. „Das ist wie Drogenhandel“, erklärt der 38jährige Schlosser, der im Gegensatz zu Axel eher im großen Stil handelt. Steckenpferd des „Schwarzhändlers“ sind Borgward-Fahrzeuge und –Teile. Etwa dreißig verschiedene Modelle des ehemaligen Bremer Automobilkonzerns besitzt Michael, der sich in Sachen Oldtimer für das Bremer Identifikationsfahrzeug entschieden hat. Michael: „Du mußt ein Gespür dafür haben, was gut ist und sich verkaufen läßt, denn heute, wo die Leute Angst um ihren Job haben, sitzt das Geld auch nicht mehr so locker.“
Einer von Michaels potentiellen Kunden ist Horst Hennig, nach eigenen Angaben „gute fünfzig“ und Kaufmann aus Weyhe. Hennig trumpft mit einer perfekt restaurierten Borgward-Isabella auf. „Was Sie hier sehen, dauert bei ordentlicher Arbeit zwei bis drei Jahre“, so Hennig, der das Schmuckstück als reinen Schrotthaufen aus den USA einfliegen ließ. „Alles Originalteile“, erklärt der Kaufmann nicht ohne Stolz, „dafür müssen Sie schon zu solchen Treffen fahren, um beispielsweise eine original Türgriff-Dichtung zu bekommen.“
Das schwarze Cabrio kostet in solchem Zustand schon mal 60.000 Mark, vorausgesetzt der Anschaffung des Wagens folgt neben den Werkstattarbeiten auch die Bereitschaft zum eigenen Handgriff. Schon scharen sich ein paar Borgward-Philosophen um Hennigs Isabella . Da geht es von der Erfindung der Einzelradaufhängung, bis zur seinerzeit konkurrenzlosen Luftfederung. Hennig: „Borgward war einer der besten Konstrukteure seiner Zeit, immer den anderen Automobilherstellern voraus. Für mich ist das auch der Grund, warum er in den Konkurs getrieben, ja künstlich bankrott gemacht wurde.“
Doch die Borgward-VerehrerInnen, die bleiben ihrem Fetisch treu. Eine zweite Isabella hat Hennig noch daheim. „Das ist ein Wagen, den man Sonnatgs einmal aus der Garage holt“, erklärt der wahre Liebhaber. In der Woche fährt er daher Mercedes oder BMW.
Auch die Isetta-Fraktion hat mittlerweile Zuwachs bekommen. Matthias trifft eine alte Bekannte aus dem gemeinsamen Club. Gabi ist über die Verkaufspläne des Schlossers entsetzt. „Eine Isetta verkauft man nicht“, meint sie. Die selbständige Schneiderin bekam das 12 PS starke Gefährt vor vier Jahren vom Vater geschenkt. „Der konnte ja nicht wissen, was er damit anrichtet.“ Ende August geht es zum nächsten Isetta-Treffen nach Tauberbischofsheim. Daß sie dafür mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 45 Kmh knapp vierzehn Stunden brauchen wird, stört die 33jährige wenig.
Im Gegenteil: „Bei der Planung der Tour suche ich mir die Strecke mit den geringsten Steigungen aus. Dafür nehme ich gerne einen Umweg in Kauf.“ Und wenn Gabi, wie vor zwei Jahren, mit der Isetta über den Nürburgring „brettert“, – dann muß daran wohl etwas mehr zu finden sein, als die Rundenzeit von einer Stunde. „Es ist einfach schwer zu erklären“, meint Gabi, „denn es ist eine Sucht.“
Auch Matthias kommt ob solcher Verzückung wieder ins Schärmen. „Ein-Zylinder-Viertakt, fünf Liter auf Hundert und nur fünfzig Mark Steuern im Jahr: Das ist doch im Grunde das ideale Stadtauto!“ Eigentlich könne man doch beim heutigen Stadtverkehr gut wieder ein solches Auto bauen. „Du mußt Dich natürlich erst an das Fahren gewöhnen“, schränkt Matthias aufkommende Euphorie ein, „denn die Isetta ist ein vollautomatischer Schlaglochsucher. Durch die verschiedenen Spurlängen vorn und hinten, kannst Du praktisch keinem Schlagloch ausweichen.“ Außerdem: Zu zweit werde es schon ein bischen eng. Und wenn Familiennachwuchs im Anmarsch ist, dann müsse so eine Knutschkugel in den meisten Fällen weg.
Matthias: „Die Enge ist vielleicht für viele Leute ein Problem, ganz anders als bei dem Ami-Schlitten da hinten. Bei dem geht die Isetta ja locker in den Kofferraum.“ Der Ami-Schlitten gehört zu Brigitte Lippig und Peter Kobytzki aus Bremen. Doch die beiden haben in dem fast sechs Meter langen „Pontiac Bonneville“ gleich eine Unzahl Autos gelagert: Spielzeug-, oder wie der Kenner meint, Miniatur-Autos. Die gehen weg wie nichts Gutes.
„Das ist ein regelrechter Boom in den letzten Jahren“, erläutert Museumsleiter Pett. „Es gibt immer mehr Firmen, die diese Mini-Autos in sehr kleinen Serien herstellen. Und die Leute sind bereit bis zu siebzig Mark für so ein Modell zu zahlen.“ Da ginge es sowohl um die Befriedigung der Sammelleidenschaft, aber zum Beispiel auch darum, ein wertvolles Modell des eigenen Oldtimers zu ergattern.
Ob jedoch Brigitte und Peter ihren zwei Tonnen schweren und 250 PS starken Pontiac auf diese Weise finanzieren können, bleibt zweifelhaft. Immerhin zählt das 35-Jahre alte Vehikel mit einem Benzinverbrauch von 20 Litern wohl kaum zu den Stadt-Autos der Zukunft. Und wo Matthias' Isetta mit 50 Mark hinkommt, da schlägt der Amerikaner mit satten 1.200 Mark jährlich zu Buche.
„Ob nun so ein großer Wagen, oder ein kleines Motorrad: Es ist ein Hobby, für das die meisten Menschen bereit sind, viel Geld auszugeben“, erklärt Pett. Auch Matthias hat einige Angebote für seine Isetta bekommen. „Wenn das klar geht“, meint der Auto-Liebhaber mit Geldsorgen, „dann habe ich wieder etwas Luft.“
Und was er mit dem Geld machen wolle?„Ich habe gerade ein altes Gogo-Mobil gesehen, eine Limousine. Da wäre das Geld doch gut angelegt. An dem Wagen gibt es natürlich noch einiges zu tun...“.
André Hesel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen