: Nicht zum Kotzen bringen!
■ Alles über Zecken, ihre Folgen und ihre Beseitigung: Hypnotisieren und rausziehen
Einmal durch den Bürgerpark gelaufen, und zack, schon ist es passiert. Schon hat die Zecke zugebissen. Und prompt hebt ein babylonisches Sprachengewirr an. Wen auch immer man fragt, jeder weiß, wie der ungebetene Gast wieder loszuwerden wäre. Die Palette reicht von Öl oder gar Pattex über astreine Sado-Maso-Nummern wie Ausbrennen mit der glühenden Zigarette bis zur Hypnose. Dabei wird der Zeck langsam und sanft davon überzeugt, daß jetzt die Zeit zum Gehen wäre. „Und das klappt, echt“, versichert eine Kollegin. „Alles Unsinn“, meint dagegen der Hafenarzt Alfons Nettesheim. Und der muß es wissen, schließlich ist er Bremens oberster Seuchenbekämpfer. Also: Alles über die Zecke und wie man ihr beikommt.
Wer die Gegend jenseits des Weißwurstäquators schon immer doof gefunden hat, der kann sich bestätigt fühlen. Wer den Main überquert, der sollte zeckenmäßig Obacht geben, denn ab da kann ein Biß höchst unangenehme Folgen haben. Besonders im bayrischen Wald, in Tschechien und Österreich hat rund jeder hundertste Zeck den Virus. Und der bewirkt beim Menschen FSME, auf deutsch FrühSommerMeningoEnzephalitis, noch genauer Hirnhautentzündung – alles andere als ungefährlich. Aber man kann sich ja impfen lassen. Sollte man aber nicht, findet der Hafenarzt: „Ich bin bei den Impfungen sehr zurückgaltend geworden.“ Denn: Die Nebenwirkungen sind so heftig, daß das Risiko bei der Vorsorge eigentlich zu hoch ist, sagt das „Arzneimitteltelegramm“, und „das ist sowas wie die taz für Mediziner.“ Sowieso, so Nettesheim, „die Menschen müssen begreifen, daß Leben auch Risiko heißt. Die moderne Medizin ist weit davon entfernt, alle Krankheiten heilen zu können, auch wenn sie das manchmal verspricht.“ Wie in Österreich. Da sind mittlerweile fünf Millionen Menschen geimpft. Das liegt aber eher an den mittlerweile aufgedeckten Beziehungnen zwischen Gesundheitsministerium und Impfstoffhersteller.
Es ist nur ein wirklich kleiner Kreis, dem der Hafenarzt die Impfung empfiehlt: „Ausgesprochene Natururlauber, die drei Wochen im Unterholz zelten, zum Beispiel.“ Die sind besonders gefährdet, denn die Zecke sitzt vor allem in einer Höhe von 60-90 Zentimetern. Da läßt sie sich dann gerne von Warmblütern wie dem Menschen abstreifen. Sie sucht sich ein warmes Plätzchen und zack, ist es passiert. Übrigens: FSME-Zecken gibt es nicht nur in Bayerisch-Kongo und Umgebung. Zweites Verbreitungsgebiet ist Mecklenburg-Vorpommern bis über die polnische Grenze und Südschweden. Die Bewohner der plattdeutschen Prairie rund um Bremen sind sicher – relativ, denn auch die Bremer Zecke kann üble Krankheiten übertragen.
Die Zecken-Borreliose kommt auf der ganzen Welt vor, also auch in unserer Gegend. Auch nicht schön. Borreliose, das ist eine Bakterienerkrankung. Mit dem Zeckenspeichel schraubt sich ein Schraubenbakterium in den Körper. Gut die Hälfte der Gebissenen hat Glück, bei denen rötet sich die Haut, nach ein paar Tagen bis zu Handtellergröße. Da heißt es: Ab zum Arzt, Gegenmittel nehmen, ein Breitbandantibiotikum. Die andere Hälfte hat es nicht so gut. Bei diesen Menschen kann sich die Infektion unbemerkt ausbreiten und erst nach einigen Wochen zum Vorschein kommen: Gelenkbeschwerden, Nevenentzündungen bis hin zur Hirnhautentzündung. Aber auch hier gilt: „Nicht jede Zecke überträgt“, sagt der Hafenarzt. Und natürlich hat auch das Atibiotikum Nebenwirkungen. „Das macht Ihnen die Darmflora kaputt.“
Nun aber, endlich, zur alles entscheidenden Stammtischfrage: Brennen, reißen oder schneiden. Die Antwort des Hafenarztes: „Mit spitzen Fingern beherzt zukneifen und dann ziehen“. So erwischt man zwar nur das Hinterteil, aber damit hat man schon das Wichtigste in der Hand, denn da sitzen die Speicheldrüsen. Und wenn die Zecke Viren und Bakterien hat, dann im Speichel. Wenn die Zecke angreift, dann macht sie das wie der gemeine Mosquito: Damit das Blut beim Vollsaufen nicht gerinnt, spritzt sie ein wenig Speichel in die Wunde. In diesem ersten bißchen sind aber eher keine Krankheitserreger. Daß die auch wirklich in den Körper kommen, muß man die Zecke nur so behandeln, wie der Stammtisch vorschreibt. Rausdrehen zum Beispiel. Der Hafenarzt: „Zecken haben kein Gewinde, weder links- noch rechtrum.“ Wenn man ihr das Hinterteil preßt , „dann ist das wie bei einer Gummiballinjektion.“ Dann quetscht man den Speichel erst so richtig in die Wunde. Und noch doofer ist die Nummer mit Öl oder Pattex oder Nagellack oder Terpentin oder was auch immer noch an Giften im Umlauf ist. Sieht auf den ersten Blick ganz pfiffig aus, das Tier zu ersticken, damit es mühelos rausgezogen werden kann. Klappt ja auch, hat nur eine Nachteil: „Bevor die stirbt, kotzt sie sich nochmal so richtig aus und preßt den Rest des Speichels in die Wunde“, sagt der Hafenarzt.
Bleibt noch der Trick der Kollegin Kaiser, der dem staunenden Publikum nicht vorenthalten werden soll: Hypnose und Überredungskunst. Zuerst müsse man die Zecke im Fleische durch leichtes Klopfen auf die Haut rund um die Bißstelle davon überzeugen, daß jetzt die Zeit zum Abschied gekommen ist. Motto: „Hallo, Essenszeit ist vorbei-hei!“ Wichtig: Klopfen Sie gegen den Uhrzeigersinn. So eingelullt ließe sich die Zecke widerstandslos abführen, mit Kopf und allem drum und dran. Die Kollegin schwört drauf. Ähem: Notfalls bleibe ja noch die S/M-Methode...
Das mit dem Kopf, das ist übrigens der einzige Nachteil der Rausrupf-Methode, die der Hafanarzt empfiehlt. Der reißt nämlich ab. Aber in dem Fall kann man ganz beruhigt zur Stecknadel greifen, die zum Glühen bringen und den Zeckenschädel wie einen x-beliebigen Holzsplitter aus der Haut pulen. Wenn nicht, so Alfons Nettesheim, „dann eitert der von ganz allein raus.“ Jochen Grabler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen