: Vom Mehle verweht
■ TanzZeit-Festival: Compagnie Ljada
Schon der Auftakt des zum ersten Mal stattfindenden Festivals TanzZeit im Theater am Halleschen Ufer war ein voller Erfolg: Joseph Tmim und seine Toladà Dance Company hatte man im ausverkauften Haus begeistert gefeiert. Jetzt wurde die zweite Runde eingeläutet und mit Roberto Galvan und seiner Compagnie Ljada ein Gast aus der Schweiz präsentiert. Krasser könnte der Gegensatz nicht sein. Nach Joseph Tmims wilden und ganz am Physischen orientierten Exzessen geht es mit Roberto Galvan und der Uraufführung seines „Poema No 29 & No 31“ in die entrückten Gefilde der Poesie.
Roberto Galvan hat sich auf die Suche nach dem Bleibenden im Flüchtigen gemacht und tatsächlich etwas davon in seiner Tanzkunst festhalten können. Seine weißgewandeten Menschen können sich in Schmerzen winden oder die Körper zärtlich ineinander schlingen: Alles scheint nur eine Erinnerung zu sein, ein Nachhall. Mit weißem Mehl ist der Boden bestäubt. Jede Bewegung der ätherisch weißen Tänzergestalten hinterläßt ihre Spur und wird im nächsten Moment mit der nächsten Bewegung wieder fortgewischt. Aus den Boxen ertönt ein mächtiger, gleichmäßig blasender Wind, der den Staub aufwirbelt und die Bühne in ewigen Nebel zu tauchen scheint.
Wie Strophen eines Gedichts ist das Tanzstück eingeteilt, unterbrochen durch eine kurze Dunkelheit nehmen die Tänzer in einem neuen Bild in neuen Ordnungen und Figurationen den Fluß des Immergleichen wieder auf. Ein einziger wirklicher Mensch, halbnackt, mit Badehose und dicken Wanderschuhen versehen, verirrt sich in diese ferne Welt. Zu Herzschlägen aus dem Off zuckt sein Körper, als wäre es das eigene Herz, das so laut schlagen würde. Zu stark und groß für den Körper, der sich mit jedem Schlag in Krämpfen windet und vornübergebeugt dieses gewaltige, pulsierende Etwas am liebsten auskotzen möchte.
Ungerührt hinterlassen die Tänzer währenddessen ihre flüchtigen Spuren. Das Abschlußbild gerät zur Reflexion des Choreographen aus seiner Arbeit: Der Mann in Badehose, getanzt von Roberto Galvan, setzt die Kunstfiguren wie sein Spielzeug in Bewegung, ordnet sie immer wieder neu und freut sich an ihren nicht enden wollenden Tänzen. Mehr bleibt ihm allerdings auch nicht zu tun. Diese Welt mag man anstaunen, durcheinanderwirbeln und neu gestalten: In sie einzudringen vermag man nicht – alles bleibt folgenlos.
Im „Poema No 29“ finden Choreographie, Musik (Michael Rodach) und Licht (Markus Keusch) zu einer atmosphärisch dichten Synthese und man wünschte sich, Roberto Galvan hätte es dabei belassen. Aber leider folgt noch ein zweiter Teil, das „Poema No 31“, eine Reflexion über den Zuschauer als Voyeur. Roberto Galvan degradiert seine wunderbaren Tänzer zu Zuschauern, versehen mit Sonnenbrillen oder Augenbinden, dumm und doof, während er und seine Partnerin Nicole Caccivio zeigen, wie toll sie tanzen können. In einem besonders unangenehmen Bild wird ein Motiv des ersten Teils wieder aufgenommen: Als dumme Hühner staksen drei Tänzerinnen der Compagnie über die Bühne, denen der Choreograph Anweisungen ins Ohr flüstert und die sie nicht in der Lage sind auszuführen. Er möchte mit einer von ihnen das zuvor mit Nicole Caccivio getanzte Duo wiederholen, aber leider sind sie einfach zu blöd. Dieses – unwillkürliche – Bild der Eitelkeit des Choreographen vergißt allerdings zu berücksichtigen, daß es ja schließlich das tanzende Paar ist, das sich zur Schau stellt und damit die Voyeure auf die Bühne (oder in den Publikumssaal) ruft. Michaela Schlagenwerth
Bis 15.6., je 21 Uhr, Theater am Halleschen Ufer (32), Kreuzberg
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