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Beinlos auf dem Klappstuhl

Daniel Clowes, Independant-Comiczeichner, jetzt bei Galerie UnArt  ■ Von Alexander Braun

„Die ganze Welt ist wild im Herzen und verrückt im Kopf!“ sagt Lulu in David Lynchs „Wild at Heart“. Wild ist auch die schwarzweiße Bilderwelt des Daniel Clowes. Sein 136seitiges Opus magnum „Wie ein samtener Handschuh in eisernen Fesseln“ – entstanden von 1989 bis 1993 – ist eine Tour de force durch die Schluchten der westlichen Zivilisation und die Abgründe der Seele.

Clowes entblättert vor dem staunenden Auge der LeserInnen ein Panoptikum skurriler Charaktere und bedrohlicher Episoden: Da gibt es die Mitglieder einer Sekte, die den gewaltsamen Kampf der Geschlechter propagieren und ein pfeiferauchendes Mädchen, das am Fenster sitzt und heißbegehrte Drehbücher für Pornofilme schreibt.

Die Polizisten in dieser Welt sind nicht nur bösartig und unberechenbar, sondern ritzen ihren Opfern mit einem Skalpell Mondgesichter in die Fußsohlen. Ein kopfloser Hund verbirgt unter seinem zottigen Fell eine Schatzkarte. Ein Mann trägt an der Taille eine kleine Pumpvorrichtung, um Ketchup aus seinem Magen pumpen zu können. Er verträgt dieses amerikanischste aller amerikanischen Lebensmittel nicht. Es ist eine seltsame Welt. Und mitten in ihr befindet sich Clay Loudermilk, ein junger, blasser Mann Ende Zwanzig. Sein gescheiteltes Haar ist stets ein wenig zerzaust, und unter den Augen deuten sich Tränensäcke an. Seine Gesichtszüge sind emotionslos.

Loudermilk ist der Prototyp eines Antihelden. Er ist Identifikationsfigur und Katalysator der Katharsis in einem. Am Ende der Geschichte sitzt er ohne Arme und Beine, nur knapp dem Tod entronnen, in einem Klappstuhl und versucht, ein Bild zu zeichnen. Den Bleistift hält er zwischen den Zähnen. Das Blatt Papier vor ihm bleibt leer.

Daniel Clowes wurde 1961 in Chicago geboren und wuchs im Haus seiner Großeltern in einem liberalen und humanistisch geprägten Klima auf. Der Großvater war Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität von Chicago. Die Ästhetik der Printmedien war seit frühester Kindheit Clowes ständiger Begleiter. Sein zehn Jahre älterer Bruder, ein „Hippie und Medienjunkie“, brachte nach Hause, was die Populärkultur zu bieten hatte. Superheldencomics, MAD-Hefte, den Playboy, Horrorgeschichten und die Produkte des Undergrounds.

Nach der Schulzeit und einem Studium am Pratt Institute in New York begann Clowes die Comic- Innovationen der frühen achtziger Jahre – Art Spiegelmans Avantgardemagazin RAW, sein ambitioniertes Maus-Projekt (Rowohlt) und die realitätsnahen Comicgeschichten der Brüder Hernandez (Reprodukt/Edition Moderne) – mit zynischen Kurzgeschichten zu beantworten. Ob Weltraumfahrer, christliche Sektierer oder verpickelte Teenager, Clowes zerrte sie alle auf seine kleine Bühne. Erst 1989 mit Erscheinen der ersten Episode von „Wie ein samtener Handschuh in eisernen Fesseln“ erweiterte Clowes seine beißenden, postmodernen Realsatiren um das Moment des Unheimlichen. Ein Lebensgefühl, das KünstlerInnen wie Cindy Sherman, Mike Kelley oder Robert Gober in der bildenden Kunst der späten achtziger Jahre bereits fest etabliert hatten, findet damit auch im Comic seinen Niederschlag. Clowes führt seine LeserInnen in eine klaustrophobische Welt voller Falltüren. Die Luft ist stickig, die Schuhe kleben am Boden und doch wußte schon Baudelaire: „Das Schöne ist immer bizarr.“

Daniel Clowes, „Wie ein samtener Handschuh in eisernen Fesseln“; Verlag Reproduktion/Edition Moderne, Berlin/Zürich 1993, 142 Seiten, 39,80 DM. Bis zum 20. August 1994 findet in der Galerie der Comicbuchhandlung „Grober Unfug“ (Zossener Straße 32-33, 10961 Berlin, U-Bahnhof Gneisenaustraße) die erste Ausstellung mit Originalen des Künstlers in Deutschland statt.

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