: Der Mann mit der Goldkehle
■ Youssou N'Dour, ein moderner Märchenerzähler, jetzt mit den Super Etoile de Dakar im Huxley's
Berlin, Hotel Esplanade, Ende März 94: Nervös steige ich mit der Pressebetreuerin von Sony-Music in den Fahrstuhl. Der Sänger Youssou N'Dour sitzt relaxt im Sessel seines Hotelzimmers. Die Dolmetscherin schaut mich erwartungsvoll an: „Ihre Fragen?“
Was fragt man einen Sänger aus Afrika, der im Senegal seit über 20 Jahren erfolgreich ist, wenn man selber noch nie in Afrika war? Youssou N'Dour ist mit 12 auf die Bühne geklettert und hat sie seitdem nicht mehr verlassen. Er nennt sich selbst einen „modernen Griot“, einen musikalischen Geschichtenerzähler, in Afrika eine mythische Gestalt. Der Mann, der die Sagen erfindet, von denen andere umwoben werden. Er muß keine Könige besingen – er hat den direkten Draht zur Regierung.
Der Fünfunddreißigjährige ist kaum älter als ich, strahlt aber so etwas von reifer Jugend aus, daß man ihm automatisch die „Lebenserfahrung“ eines Kinderstars, eines erwachsenen Heintje zuschreibt. Nur daß er wohl nie auf senegalesischen Butterfahrten sein Gnadenbrot verdienen werden muß. Einigermaßen reich ist er schon jetzt, besitzt eines der modernsten Tonstudios des Landes und ein Haus in einer reichen Neighbourhood. Er antwortet recht knapp. Mögen Sie HipHop? „Jaaah, ich bin kein großer Fan, aber mir gefällt das.“ Könnten sie sich vorstellen, in Frankreich beispielsweise mit MC Solaar oder Soon E MC zusammenzuarbeiten? „Ich versuche gern mal, was auszuprobieren, mache gerne Experimente mit Leuten, die ich mag.“ Aber Sie sind kein Rapper! „Nein, ich bin kein Rapper!“ Schweigen, Pause, nächste Frage.
Zur Zeit des Interviews weiß ich nicht, daß auf seiner neuen Platte „The Guide“, ein Duo mit Neneh Cherry („Seven Seconds“) ist. Der Mann erzählt einem das nicht von selbst, aber aus reiner Bescheidenheit, wie es scheint. Er hat es nicht nötig, sich mit bekannten Namen des internationalen Popstarmarkts zu schmücken.
Die „Super Etoile de Dakar“, die Superband des Senegal, die er als Jugendlicher quasi neu formierte, spielt heute als seine Band auf traditionellen Instrumenten, aber ist gleichzeitig voll elektrifiziert. „Der Begriff Weltmusik sagt mir eigentlich gar nichts. Für mich ist die Musik meiner neuen Platte wie die Architektur eines Hauses: Es gibt verschieden große Räume in einem Haus, Schlafzimmer, Eßzimmer, verschiedene Orte, an denen man sich zu unterschiedlichen Zeiten aufhält.“ Auf dem neuen Album singt er in ein und dem selben Stück mal in Wolof, dann auf Englisch. Originäre Versatzstücke, scharfkantige Bläsersätze, Trommeln und diese Stimme, die inzwischen jeder als golden beschreibt: Mir fällt auch schon nichts treffenderes mehr ein.
Das Goldkehlchen von Dakar jedenfalls bringt mit der internationalen Fassung der vorher in Afrika als „Wommat“ erschienenen Platte das Kunststück fertig, Klischees und Traditionen afrikanischer Musik zu verwenden, ihnen aber gleichzeitig einen Zitatcharakter zu verleihen. Er packt sie in die große Mythenkiste und popt sie zuckermäßig mit Synthies und künstlichen Sounds zusammen. Das Ergebnis: internationaler Pop. Genau das aber ist die Provokation für Anhänger einer originären Weltmusiktheorie: Afrikaner, bleib bei deinen Leisten!
Mit seiner ersten Band ist Youssou als Jugendlicher heimlich nach Gambia abgehauen. Sein Vater ließ ihn von der Polizei zurückholen. Der Vaterkonflikt wird für ihn zum Ausdruck der Identitätskrise der Jugend: „In meinen Texten erzähle ich von der afrikanischen und im speziellen von der senegalesischen Gesellschaft. Die ist voller Widersprüchlichkeit. Um zu leben, muß man das machen, was man selber für richtig hält. Man kann auf Ratschläge hören, aber die können sich auch als falsch erweisen. Die einen sagen, der Vater soll auf dem Esel sitzen. Die anderen, der Sohn!“ Youssou hat früh seinen eigenen Weg eingeschlagen und allein damit die Traditionen in Frage gestellt. „Ich bin für viele ein Beispiel. Das ist wohl auch ein Grund für meinen großen Erfolg.“
Außerhalb Afrikas ist N'Dour vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Peter Gabriel bekannt geworden. Deshalb meinen viele, Gabriel habe Entwicklungshilfe für einen unterentwickelten Sänger aus Schwarzafrika geleistet. N'Dour hat eine verblüffende Antwort auf postkoloniales Denken: „Die afrikanische Musik ist dermaßen reich, daß viele westliche Popmusiker sich davon inspirieren lassen. Die Zusammenarbeit mit Peter Gabriel ist sehr wichtig für mich. Aber – Sie leben nicht in Afrika – wegen der Zusammenarbeit mit mir ist Gabriel in Afrika wesentlich bekannter geworden.“
Der junge Mann lehnt sich entspannt zurück. Inzwischen besitzt er ein Restaurant mit Musikclub und ein Studio in Dakar. Seine Konzerte füllen Fußballstadien.
Jetzt hat Neneh Cherry die Chance, in Afrika ein wenig bekannter zu werden. Andreas Becker
Samstag, 11.6., 20 Uhr, Huxley's
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