■ Der albanische Langzeithäftling und Buchautor Agim Musta über den Umgang seiner Landsleute mit der Vergangenheit / Bislang keine Prozesse gegen Folterer: "Ab in den Knast"
Zwölf Jahre hat Agim Musta in albanischen Gefängnissen verbracht. Sein Verbrechen: Er versuchte 1961 im Reiche des kommunistischen Diktators Enver Hodscha eine sozialdemokratische Partei zu gründen. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis mußte der Gymnasiallehrer 18 Jahre lang Schwerarbeit auf dem Bau verrichten. Als das Regime 1991 zusammenbrach, gründete Musta die „Vereinigung ehemaliger politischer Häftlinge“. Musta ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Albaniens, die in der Regierung Berisha einen Minister stellt.
taz: Herr Musta, Sie haben ein Sachbuch geschrieben, das den Titel „Die Mandelas Albaniens“ trägt. Es handelt von Menschen, die jahrzehntelang in Gefängnissen und Lagern gefangengehalten und zu Zwangsarbeit verpflichtet wurden. Viele sind dort verhungert, ohne ärztliche Versorgung an Krankheiten gestorben. Auch Sie haben den Horror 12 Jahre durchgestanden. Gibt es eine öffentliche Debatte über diese Vergangenheit, oder wird sie verdrängt?
Agim Musta: Vor allem die früheren Insassen der Gefängnisse und Lager drängen auf diese Debatte. Auch weil sie eine Wiedergutmachung wollen. Vielen von ihnen geht es finanziell sehr dreckig, vor allem jenen, die erst mit dem Sturz des Kommunismus freikamen: Sie haben keine Arbeit, keine Wohnung. Doch die Regierung hat ihnen bislang nur eine bescheidene Pension zugestanden. Die jahrelange, oft auch jahrzehntelange Zwangsarbeit nachträglich zu entlohnen, hat sie abgelehnt.
Aber spricht man heute davon, wer wofür verantwortlich war? Werden die Namen der Lagerkommandanten öffentlich gemacht?
Ja, das schon. Man weiß, wer die Lager geleitet hat, man kennt die Namen der Segurimi (die albanische Version der Stasi). Das konnte man in der Presse nachlesen, vor allem in der Zeitung der „Vereinigung ehemaliger Häftlinge“.
Wurden die Lagerkommandanten, die Offiziere juristisch belangt? Gab es Prozesse gegen Folterer?
Nein, bis jetzt jedenfalls noch nicht.
Sind Sie dafür, daß diese Leute vor Gericht gestellt werden?
Man kann nicht alle vor Gericht bringen. Es sind zu viele. Aber die Verantwortlichen in den oberen Reihen der Segurimi, der Partei, im Apparat des Innenministeriums müssen schon vor den Kadi. Ich würde mal schätzen: so 300 bis 400 Personen.
Sitzt denn überhaupt von diesen jemand fest?
Sie sind alle frei, fast alle.
Wären Sie dafür, die Archive der Segurimi den Betroffenen gegenüber zu öffnen, wie es bei uns in Deutschland mit den Archiven der Stasi geschehen ist?
Wenn unsere Archive geöffnet würden, würde es sehr schnell fürchterlich zugehen. 300.000 bis 400.000 Albaner haben für die Segurimi gearbeitet. Das sind zehn Prozent der Bevölkerung, Kinder und Greise eingeschlossen. Viele wurden gezwungen, die Unterschrift zur Mitarbeit mit der Segurimi zu leisten.
Und wenn man sich weigerte?
Ab in den Knast.
Wissen Sie von den Leuten ihrer Umgebung, wer für die Segurimi gearbeitet hat?
Ja, von vielen weiß ich es. Hier in der Nachbarschaft und auch im Gefängnis. Auch viele Häftlinge wurden ja zur Kollaboration mit der Segurimi gezwungen.
Hat man auch Sie zu zwingen versucht?
Ja. Nach dem Urteil. Sie fragten mich, ob ich sterben wolle, und sagten, wenn ich nicht mitmachen würde, müßte ich die ganze Strafe absitzen. Ich habe gesagt, eher würde ich sterben, als mit Leuten kollaborieren, die jemandem zwölf Jahre aufbrummen, der nichts Schlimmes getan hat. Aber viele Gefangene, die Frau und Kinder hatten, waren gezwungen nachzugeben. Ich war damals ledig.
Sprechen Sie mit Ihren Nachbarn über diese Zusammenhänge?
Nein, das wissen ja alle.
Hat sich irgendeiner derjenigen, die dafür verantwortlich sind, daß Sie zwölf Jahre saßen und dann 18 Jahre auf dem Bau arbeiten mußten, bei Ihnen entschuldigt?
Nein. Aber ein Segurimi-Offizier, nur ein einziger, hat in der Zeitung öffentlich bei seinen Opfern generell um Entschuldigung gebeten. Vor drei Monaten habe ich zufällig in einer Bar den Richter getroffen, der mich verurteilt hat, ein Oberst der Militärjustiz. Er ist inzwischen 75 Jahre alt und längst in Pension. Als ich ihm sagte, er sei derjenige, der mich zwölf Jahre verknackt hat, sagte er nur: „Ach, das waren eben die alten Zeiten, als Enver Hodscha an der Macht war.“
Wollen Sie, daß ihm der Prozeß gemacht wird?
Nein.
Welche Konsequenzen haben die 45 Jahre stalinistischer Diktatur für die Psyche der Albaner?
Über 50.000 Albaner sind heute als Geisteskranke registriert. Das ist die Zahl, die mir ein Freund, der Leiter des Irrenhauses von Elbasan, genannt hat. Allein von den 7.000 bis 8.000 ehemaligen politischen Gefangenen, die die „Vereinigung ehemaliger Häftlinge“ betreut, sind über 500 verrückt geworden.
Welche Auswirkungen hatte die Diktatur auf das Zusammenleben der Generationen? Werfen nun nicht viele Jugendliche ihren Eltern vor, mitgemacht zu haben?
Nein, generell kann man das nicht sagen. Es gibt natürlich Fälle.
Vor über 30 Jahren wollten Sie eine sozialdemokratische Partei gründen und haben dafür zwölf Jahre gesessen. Heute sind Sie Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Albaniens. Wie stehen Sie zur Regierung Berisha, die ja von Ihrer Partei unterstützt wird?
Sali Berisha hat viele Versprechen nicht gehalten: Er hat keine Wiedergutmachung für ehemalige Gefangene angeboten, er hat keine Arbeitsplätze geschaffen, dafür sind die Preise in den Himmel gestiegen. Zudem werden nun die demokratischen Freiheiten beschnitten. Auch mit den Prozessen gegen Journalisten wegen Verleumdung bin ich nicht einverstanden.
Das ist ja auch die Kritik der Sozialistischen Partei. Können Sie sich eine Koalition zwischen Sozialisten und Sozialdemokraten vorstellen?
Nein, nein, nein. Das geht nie. Die Sozialisten sind gewendete Kommunisten, viele von ihnen trauern der alten Zeit nach. Es gibt auch einige ehrbare Leute unter ihnen, aber zu viele Männer der Armee, der Segurimi, des alten Regimes eben.
Na ja, der Präsident Ihrer Partei war unter Hodschas Nachfolger Ramiz Alia in den 80er Jahren, vor der Wende also, immerhin Erziehungsminister.
Ja, das stimmt. Aber die drei Vizepräsidenten, ein Schriftsteller, ein Dramaturg und ein Historiker, haben sich mit dem Repressionsapparat des alten Regimes nicht kompromittiert.
Weshalb hat die Partei denn nicht einen von den dreien oder beispielsweise Sie zum Präsidenten gewählt?
Ich weiß es nicht. Interview: Thomas Schmid
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