Trau keinem unter 30

■ Vor allem die jüngeren ließen sich nicht an die Europawahlurne locken

Berlin (taz/dpa) – Hätten bei der Europawahl die Nichtwähler eine Nichtwählerpartei gewählt, sie wären die Sieger geworden. Denn nur 60,1 Prozent aller Wahlberechtigten gingen in Deutschland an die Urnen, das waren 1,2 Prozent weniger als 1989. Die Wahlmüdesten waren die Brandenburger, mit nur 41,4 Prozent Beteiligung liegen sie weit unter dem Durchschnitt. In der gleichnamigen Stadt Brandenburg fanden sogar nur 34,8 Prozent den Weg in die Kabinen, das ist bundesdeutscher Negativrekord. Nicht bestätigt wurde das Gerücht, daß die Havelstadt jetzt Partnerstädte in Portugal sucht. Denn dort lag die landesweite Beteiligung bei etwa 34 Prozent. Portugal profilierte sich damit als das europamüdeste Land, gefolgt von den Niederlanden mit etwa 35 Prozent.

Insgesamt aber war die Wahlbeteiligung im den neuen Bundesländern höher als in den alten. Das hing natürlich mit den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen statt. In Thüringen gingen fast 73 Prozent zur Urne, ebenfalls in Sachsen-Anhalt. Zum Vergleich: In Berlin zählte der Kreis der NichtwählerInnen 47 Prozent, in Hamburg fast 41 Prozent.

Der harte Kern der Nichtwähler, beträgt nach einer Analyse des Hamburger Landeswahlamtes vom vergangenen September nur 22 Prozent. Stärkste Gruppe der Abstinenten sind mit 33 Prozent die Jungerwachsenen zwischen 21 und 25 Jahren. Bei der Bundestagswahl erwartet der Leiter des Statistischen Landesamtes, Erhard Hruschka, aber eine deutliche Reduzierung des harten Kerns der Nichtwähler.

Laut Studie, die zum erstenmal die Politikverdrossenheit analysierte, ist das Bewußtsein für die Staatsbürgerpflichten bei den Älteren sehr viel ausgeprägter. Bei den 50jährigen liegt der Anteil der „Dauer-Nichtwähler“ unter 20 Prozent, bei den über 60jährigen sogar nur bei 15 Prozent. Für die Parteien verkehrt sich damit der Sponti-Spruch „Trau keinem über 30“ in „Trau keinem unter 30“.