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Reiß Dich zusammen, Genosse Rudi! / Sehr geehrter Herr Major, / Licher Achille Ochetto,

Reiß Dich zusammen,

Genosse Rudi!

Mist ist das mit der Europawahl. Aber jetzt bloß nicht wieder den schlechten Verlierer markieren. Weder dem politischen Gegner vor‘s Schienbein treten, noch die WählerInnen beschimpfen. Reiß' Dich zusammen! Und nimm' Dir ein Beispiel. An den anderen Genossen, die früher schon schwere Stunden durchgestanden haben.

Zum Beispiel Willy Brandt. Nach dem Scheitern der SPD bei der Bundestagswahl 1983 (die Sozis bekamen 38 Prozent) kommentierte der damalige SPD-Vorsitzende nonchalant: „Ich war schon bei weniger dabei.“ Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten war damals Hans-Jochen Vogel. Nachdem die WählerInnen ihr Kreuzchen an der falschen Stelle gemacht hatten, nahm er heldenhaft das Kreuz des Verlierers auf sich: „Das Stimmen-Minus ist mit meinem Namen verbunden.“ Auf das Wahlvolk wollte er nichts kommen lassen: „Ich bin der letzte, der die Wähler kritisiert.“ Echt edel. Auch Onkel Herbert beherrschte seine Schnodderschnauze und fand für die gedemütigen Parteiverwandten Wehner-untypische Worte: „Laßt den Kopf nicht hängen!“ SPD-Vorstandsmitglied Hans- Jürgen Koschnik übte sogar Selbstkritik: „Die SPD wird ihre inneren Gegensätze austragen müssen.“ Aber zuviel Selbstkritik tut auch nicht gut. Vorsichtshalber schränkte er ein: „Ich glaube, wir müssen uns nicht schämen, daß wir es uns nicht leicht machen.“ Davon könntest Du doch lernen, Rudi.

Gelassenheit ist alles. Zum Beispiel bei der Bundestagswahl 1987. Da konnte sich die SPD mit ihren 37 Prozent sogar abfinden. Kanzlerkandidat Johannes Rau bemerkte nur lapidar: „Wir müssen organisationsmäßig was tun.“ Der SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz konnte dem schlappen Ergebnis sogar noch etwas Positives abgewinnen: „Nach dem, was wir alle befürchten mußten, ist das ein erfreuliches Ergebnis.“ Mit der Gelassenheit war es allerdings vorbei, als 1990 mit Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine der Absturz kam. Gerade mal 35 Prozent. „So, da habt ihr's!“ schleuderte Oskar dem Wahlkampfmanager Reinhard Klimmt entgegen. Sie, Herr Scharping, waren damals noch SPD-Chef in Rheinland-Pfalz. Aber schon flott dabei mit einfachen Rezepten auch nach Wahlschlappen: Wie heute, empfahlen Sie damals, keinesfalls den Kurs der Partei zu ändern. Wir sprechen uns wieder im Oktober! BD, bam

Sehr geehrter Herr Major,

herzlichen Glückwunsch zu Ihrem überwältigenden Wahlsieg! Nein, das ist kein Sarkasmus. Es ist alles eine Frage der Lesart: Einer Ihrer Europa-feindlichen Hinterbänkler bemerkte gestern triumphierend, daß fast zwei Drittel aller britischen WählerInnen gegen Europa gestimmt haben — indem sie zu Hause geblieben sind. Sie wissen natürlich, was Sie jetzt zu tun haben: Ein paar gehässige Bemerkungen über Delors, eine entschiedene Verurteilung der Einmischung aus Brüssel sowie eine Reihe gemeiner Witze über Hunnen, Frösche und Paddys, wie Sie in England die Deutschen, Franzosen und Iren zu nennen pflegen — und schon sind Sie wieder obenauf.

Manchmal kann man auch vom politischen Gegner etwas lernen — vor allem, wenn er so viel Erfahrung im Umgang mit Debakeln hat, wie die Labour Party. Der Londoner Labour-Abgeordnete Chris Smith sagte nach der katastrophalen Niederlage seiner Partei bei den Parlamentswahlen vor zwei Jahren: „Wir haben jetzt eine sehr gute Ausgangsposition für die nächsten Wahlen.“ Das gilt auch für Sie: Schlimmer kann es kaum noch werden. Und sollte dennoch alles schiefgehen, halten Sie sich an ihren Ex-Rivalen Neil Kinnock. Nachdem er über Nacht zur Fußnote der Geschichte geworden war, denkt er über seine Zukunft: „Sie wird lang und wunderbar sein.“ Am Sonntag gewann nun seine Frau Glenys das Europamandat in Süd-Wales mit dem Rekordvorsprung von über 120.000 Stimmen. Hat Norma keine Ambitionen?

Mit freundlichen Grüßen

Ralf Sotscheck

Lieber Achille Ochetto,

denk Dir nix, Wahlniederlagen sind das A und O des Verkannten, und wer in diesem Lande hätte dich nicht verkannt! Schon Enrico Berlinguer, der Große, hat dich seinerzeit für einen guten zweiten, aber für keinen ersten Mann gehalten — und doch bist Du der erste geworden; und als Du Deinen Vorgänger Natta abgesägt hast, hat ein Karikaturist ein Bildchen gemalt, in dem der von dir mit einem Tritt im den Hintern Gefeuerte fragt „Warum haust du mich weg?“ und du hast geantwortet „Weil ich es sein will, der die KP auf Null bringt“ — das klang seinerzeit gar nicht überzeugt, und doch, du hast es geschafft.

Denk Dir wirklich nix! Niederlagen verdauen ist eine Tugend.

Mit herzlichen Grüßen

Werner Raith

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