: Wenn das Handy dreimal klingelt ...
... vergeht dem Autofahrer möglicherweise Hören und Sehen: die elektromagnetische Strahlung kann den Airbag aktivieren und die Steuerungselektronik lahmlegen ■ Von Michaela Schießl
Berlin (taz) – Opel-Sprecher Hans-Gerd Bode ist alarmiert: Eine „grauenvolle neue Sucht“ macht sich breit auf den Überholspuren des Landes: „Schauen Sie nur, jeder zweite ist am Telefonieren. Und das bei dem Tempo, dem Verkehr.“ Gefährlich sei das, meint der Opel-Mann, und wünscht sich ein Verbot von Funktelefonen im Auto.
Soviel Vernunft ist nicht ganz uneigennützig. Denn die Piep- Show im Allerheiligsten sorgt bei den Autoherstellern für Horrornachrichten: Die tragbaren Handys mit eigener Antenne können den Airbag auslösen.
So kann Muttis gutgemeinter Anruf schnell zum bleibenden Erlebnis werden: Das Telefon piept, es knallt ohrenbetäubend, und ein Kunststoffsack springt den Fahrer an. Sekundenbruchteile dauert der Angriff des Sicherheitssystems, doch viel länger braucht man nicht, um, zu Tode erschreckt, das Lenkrad zu verreißen.
Bei Anruf Mord? So nicht, beteuert Helmut Schmaler, Fahrzeugtechniker des ADAC. Noch sind nur wenige Fälle bekannt, doch Unruhe macht sich breit. BMW hat bereits erste Erfahrungen gesammelt: In Großbritannien gerieten während eines gemütlichen Telefonplauschs Airbags aus dem Häuschen, Opel meldet gar Totalverweigerung: Funktelefone hatten die Motorelektronik außer Gefecht gesetzt. Nichts ging mehr im neuen Corsa.
Doch das Phänomen ist kein Markenproblem. In jeder Betriebsanleitung für Neuwagen wird dringend geraten, ausschließlich mit Außenantennen zu telefonieren. Kein Hersteller will ausschließen, daß Handys mit eigener Antenne die Fahrzeugelektronik verwirren können, ähnlich wie Laptops die Navigationsinstrumente von Flugzeugen. Die elektromagnetische Strahlung, die von den Funktelefonen ausgeht, stimuliert die Sensoren der Airbags.
„Natürlich wurden die Sensoren auf allen denkbaren Frequenzen und mit hohen Strahlungsstärken getestet“, sagt Thomas Fischer, Airbagspezialist bei Mercedes. Das Problem: „Man kann sie nur bis zu einem gewissen Grad vor Strahlung abschirmen, sonst fühlen sie im Ernstfall nichts mehr.“
Klaus Langwieder, Unfallforscher im HUK-Verband, hält die elektromagnetischen Verträglichkeitsprüfungen der Hersteller im Normalfall für ausreichend. Sorgen macht ihm der graue Telefonmarkt: „Es kommen immer mehr Schwarzmarkthandys auf den Markt, deren Strahlungsstärken mitunter enorm hoch sind.“ Wenn so ein Teil direkt auf dem Amaturenbrett liegt, ist die Wirkung unvorhersehbar. Doch auch zugelassene Handys können unberechenbar sein: „Viele Modelle erhöhen automatisch ihre Leistung, je weiter sie sich von einem Sendemast entfernen, die angegebenen Sendeleistungen werden oft nicht eingehalten, klagt BMW-Airbagexperte Alfred Broede.
Gänzlich verwegen wird die Fahrt, wenn das Radio läuft, vielleicht ein Laptop in Betrieb ist, und dann noch das Funktelefon. „Ein unkalkulierbarer Strahlenmix“, warnt Schader. Da wird der Airbag verrückt – und anschließend der Autobesitzer, denn die Wiederherstellung ist ein teurer Schock: Der Neueinbau der Zündungspatrone und des neuen Kunststoffsacks kostet zwischen 3.000 und 8.000 Mark, je nachdem, ob auch des Beifahrers Sicherheitssack geplatzt ist.
Möglicherweise ist das Handy auch für die wachsende Zahl hitzköpfiger Autofahrer zuständig: „Handys arbeiten wie Mikrowellen mit einem pulsierenden Impuls“, sagt Schmaler. „Daß heißt, die starke Strahlung, durch die Blechwände zusätzlich reflektiert, versetzt Zellen in Bewegung, die schließlich zur Erwärmung führen können. Besonders die Empfindlichen Sinneszellen am Auge sieht er beim Telefonieren im Auto gefährdet.
Ein Verdacht, den eine Studie bestätigt: Das Institut für Hochfrequenztechnik der Bundeswehrhochschule München warnte Ende Mai vor dem gefährlichen Elektrosmog, der die erlaubten Grenzwerte um ein Drittel übersteigt. Gemeinsam mit den Autoherstellern und den Handyfabrikanten forden sie, das Telefonieren im Auto nur mit Außenantenne zu gestatten. Doch der Bundesverkehrsminister leidet offenbar auch an der Krankheit des ewig Erreichbaren: Generell, so verkündete sein Ministerium am Montag, sei das Telefonieren am Steuer nicht gefährlich. Ruf doch mal an!
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