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Der Ritt übern böhmischen Bodensee

Sasse oder Hochhuth? Wer das Schloßparktheater bekommt, ist schon entschieden, wird ohne höchstsenatliches Amen aber nicht bekanntgegeben – Sasses Prag-Berlin-Konzept jedenfalls steht nach einigen Querelen  ■ Von Tomas Niederberghaus

Heribert Sasse spricht, als wolle er das Erhardsche Marktmodell zur Bühnenfassung umschreiben. Von Angebot und Nachfrage ist da die Rede, vom break-even-point, Haushaltsplänen und Sponsoring. Von „richtigen Wirtschaftsgeschichten“, wie er sagt. Vieles von dem ist in seinem neuen Konzept enthalten. Und wenn mittlerweile (wenn auch noch inoffiziell) eingetreten ist, was die Spatzen schon lange vom Senatsdach pfeifen, dann wird er sich „einen Tag lang freuen“, um 24 Stunden später den „Ritt über den Bodensee“ anzutreten.

Natürlich hat seine Idee für das Schloßparktheater nichts mit dem Bodensee zu tun. Aber die Winde, die dort wehen, können ähnlich unberechenbar sein: Im Gegensatz zum „Autorentheater“ seines Mitbewerbers Rolf Hochhuth, will Sasse in Steglitz einen kulturellen Brückenschlag verankern. Das Deutsche Theater in Prag möchte er wiederbeleben. Premieren sollen an der Spree wie auch an der Moldau stattfinden. „Bürgerliches Theater muß es sein“, sagt Sasse, „sonst geht niemand mehr hin.“ Er denkt an irgend etwas „zwischen Brecht, Schnitzler und Patrick Süßkind“.

Sollte der Senat sich für Sasse entschlossen haben (obwohl bislang kein einziges persönliches Gespräch mit dem Kultursenator stattgefunden hat), weht der Ostwind stärker. Nicht die Meldungen der hiesigen Presse über den Prager Spielort sind das Problem. Schwieriger wiegen die Fragen: Kann und soll an eine glorreiche Tradition angeknüpft werden? An die, wie Franz Werfel schrieb, dreifältige tschechisch-jüdisch-deutsche Seele Prags? Gibt es überhaupt eine Zielgruppe für ein solches Theater? Wer ein Bild von der Bühnenwelt an der Moldau malen möchte, muß ohnehin zu düsteren Farben greifen. Der neue Kultusminister Pavel Trigid streicht die Subventionen für sämtliche Häuser. Rigoros. Mit einem durchschnittlichen Einkommen von 5.000 Kronen (300 Mark) können sich viele TschechInnen einen Theaterbesuch kaum noch leisten. Karten für die Laterna Magika (27 Mark) etwa bleiben Touristen vorbehalten. Ein kommerziell orientierter Kulturkonsum wird deutlich. Festivals überschwemmen die Metropole. Westliche Medienagenturen organisieren sie. Und nun noch ein Sasse?

Grundstein für das Vorhaben legte Pro Thalia, die „Stiftung für die Wiederbelebung des Deutschsprachigen Theaters in Prag“. Deren Vorsitzender Alex Koenigsmarck versteht sich als Verwalter der langen Tradition. Voller Stolz erzählt er von der Eröffnung des Gräflich Nostiz'schen National- Theaters am Obstmarkt, wo 1783 Lessings „Emilia Galotti“ aufgeführt wurde. Gut 100 Jahre später, anno 1888, füllten Wagners „Meistersinger“ das Neue Deutsche Theater. Die Aufführungen gelten als Marksteine der deutschen Theaterkultur in Prag. Koenigsmarck war es nun, der Sasse als Intendant für die Kammerspiele an der Moldau gewinnen wollte.

Inzwischen sind diese Pläne zerschlagen. Das Kammertheater in der Hybernska, sagt Koenigsmarck, „sollte als Denkmal der Dummheit und des Wahnsinns“ zur Spielstätte umgebaut werden. Das kommunistische Regime hatte es aus politischen Gründen vor 20 Jahren geschlossen. Nun wird es von der Firma Mach Holdin als Business-Zentrum renoviert (Hauptanteilseigner ist der tschechische Fußballclub Sparta). Bedingung: Ein Theater muß integriert werden. Doch der Umbau der Ruine dauert zwei bis drei Jahre. Das ist Koenigsmarck zuviel. Er setzt derweil auf deutschsprachige Gastspiele, da sei auch der Herr Sasse sehr willkommen.

Ein Business-Zentrum wäre kein schlechter Ort für Sasses Theaterarbeit gewesen. In der „Schiel und Sasse GmbH“ hat er sich zu einem ausgesprochenen (Kultur-)Ökonom gemausert: Er wirbt für den 3er BMW als „erotischen Dialog zwischen Cabrio und Motorrad“. Doch Pro Thalia, sagt Sasse, ist unprofessionell. „Die schwatzen und schwatzen und schaffen nichts.“ Auch Berlins Kultursenator Roloff-Momin soll nach einem Gespräch mit Pro- Thalia-Chef Koenigsmarck enttäuscht zurückgekehrt sein.

Mit dem tschechischen Dramatiker Pavel Kohout kann Sasse da schon mehr vorzeigen. Kohout äußerte unlängst in einem Interview, daß er seinen Landsleuten klarmachen will: „Wir sind dem Geist des Ortes Prag eine deutsche Bühne schuldig.“ Wie in Schule und Wirtschaft sollten sich Tschechen und Deutsche auch in der Kunst begegnen. Eine alternative Spielstätte war schnell gefunden: das ehemalige Operettenhaus, Nähe Wenzelsplatz. Es wird derzeit noch, ähnlich wie das Berliner Gripstheater, als Jugendbühne genutzt. Der 1928 in Prag geborene Kohout hat für eine Abendinszenierung eine Fassung von „Richard III.“ geschrieben. „Für ein kleines Ensemble von zwölf bis 14 Leuten“, sagt Sasse, „als Komplementärgeschichte ist meine Aufführung von Brechts Arturo Ui gedacht.“ Auch das sei beispielsweise ein guter Einstieg fürs Steglitzer Schloßparktheater.

Wenn Sasse von Arturo Ui erzählt, bekommt er heute noch glänzende Augen. Ach, die guten alten Zeiten. „Das Renaissance- Theater habe ich aus der Pulversituation herausgeholt“, sagt er, „aber solche Sachen wurden ja nie über mich geschrieben.“ Die Presse habe ihn immer verkannt. Nun ist sich der „Tausend-Sasse“ sicher, daß er mit dem neuen Konzept für das Schloßparktheater gut fährt – vorausgesetzt, er hat seinen Nebenbuhler Rolf Hochhuth damit ausgebremst. Danach rechnet Sasse im Steglitzer Haus mit einer Auslastung von 55 Prozent bei 300 Spielabenden und einem durchschnittlichen Eintrittspreis von 18,50 Mark. Kalkuliertes Defizit: 1,4 Millionen Mark. Das heißt, er würde etwa zwei Millionen Mark jährlich an Subventionen bemühen – nicht viel für ein Privattheater.

Wenn Sasse den Zuschlag fürs Schloßparktheater offiziell erhält, was sich in den nächsten beiden Wochen entscheidet, wird er seine Arbeit in Steglitz nicht vor dem Frühjahr nächsten Jahres beginnen. Unterdessen geht es in Prag bereits rund: Koenigsmarck hat sich ins Zeug gelegt und Anfang Juni die Hamburger Kammerspiele mit Ulrich Wildgruber in der Hauptrolle gastieren lassen. Schon in der zweiten Aufführung waren die Stühle leer. „Die haben nicht geworben“, greift Sasse allen Skeptikern vorweg. Immerhin habe er seine Sponsoren bereits so dingfest wie die Schauspieler. Beispielsweise einen skandinavischen Bierhersteller, dem Sasse im Gegenzug bei der Lizenz für Prag behilflich war. Die Eintrittspreise sollen mit Hilfe der Brauereigelder subventioniert werden, damit auch TschechInnen am Spektakel teilhaben können.

In den Sommermonaten müsse in Prag durchgespielt werden. „Da kannst du richtig Geld machen“, schwärmt Sasse. Um die Kosten klein zu halten, gründet er gerade eine Theaterwerkstatt an der Moldau. Dort werden die Bühnenbilder gebaut. Die Tschechen sollen aber nicht nur Handlangertätigkeiten übernehmen: Der gebürtige Österreicher denkt an eine Produktion von Karl Kraus' „Die letzten Tage der Menschheit“. Deutsche und tschechische Schauspieler sollen mitwirken. Kraus hat das Stück während des Krieges geschrieben. Er prangert die gepanzerte Kommerzwelt an. Hoffentlich läßt ihn Sasse nicht unter deren Räder geraten.

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