piwik no script img

„Der andere Blick“

Das erste lesbisch-schwule Filmfestival in St. Petersburg warf viele Fragen auf. Vor allem über Schönheit ließ sich streiten.  ■ Von Dorothea Robrecht

Ungewöhnlich sind nicht nur die beiden Leibwächter am Eingang, kurzgeschorene Hünen in Springerstiefeln und Kampfmontur. Auch die verhalten, aber heftig diskutierenden Grüppchen, die sich vor den Schaukästen des alten Kinos in der Uliza Saltykova-Schedrina eingefunden haben, verraten es: Ganz normal ist das Programm des „Spartak“ diesmal nicht. Und tatsächlich, was es in den neun Tagen vom 15. bis zum 23. Mai 1994 zeigt, ist eine Premiere besonderer Art: das erste Festival in Rußland überhaupt, das ausschließlich Filmen von Schwulen und Lesben oder über Schwule und Lesben gewidmet ist.

Daß die Beiträge des Festivals aus Deutschland und Österreich kommen, daß es auch von hier aus, von den BerlinerInnen Mahide Lein und Andreas Strohfeldt organisiert worden ist: ein klarer Fall von kulturellem Imperialismus, wenn auch eher alternativ als offiziell? Wohl kaum: Die Organisation eines solchen Festivals allein von Rußland aus, so Jurij Schujskij, künstlerischer Direktor des „Spartak“, sei auch heute noch undenkbar, und das nicht allein deshalb, weil es russische Filme zum Thema kaum gebe. Daß er sich, als einziger übrigens, überhaupt bereit gefunden hat, sein Kino zur Verfügung zu stellen, ist bemerkenswert genug.

Offiziell zwar sieht es so schlecht gar nicht aus. Seit einem Jahr etwa gibt es „121.1“ nicht mehr; den Paragraphen, der den „asozialen“ Sex zwischen Männern bestrafte. Und auch die Lesben könnten von einem Gesetz profitieren, das das Mittel der Wahl in ihrem Fall – Einweisung in psychiatrische Kliniken, und zwar auch gegen den Willen der Betreffenden selbst – nicht mehr ganz so leicht wie früher macht. So progressiv allerdings die Legislative hier auch sein mag, ihr Einfluß auf die öffentliche Meinung, so scheint es, hält sich in Grenzen. Wie Menschenrechtskommissionen beobachtet haben, häufen sich homophobe Tendenzen gerade auch in der sogenannten liberalen Presse. „Wer will schon“, so etwa die ansonsten durchaus offene Komsomolskaja Pravda, „eine Gesellschaft, in der Homosexualität in Mode kommt?“

Ganz abgesehen davon, daß diese „Mode“, denkt man an die Leibwächter, nicht ganz ungefährlich zu sein scheint; dem Publikum des Festivals nach zu urteilen ist sie offensichtlich auch weniger populär als befürchtet. Ob es nun, wie Jurij Schujskij vermutet, ganz einfach Angst war, die viele Schwule und Lesben abgehalten hat, oder ob es „nur“ deshalb war, weil der Ausschluß ihrer Zeitungen vom Kioskverkauf eine gerade sie ansprechende Werbung verhindert hat – mehr als die Hälfte der durchschnittlich rund 400 Zuschauer ist heterosexuell. Was ja so verkehrt nicht sein muß, wie jener sichtlich bemühte Mann beweist, der sich in der anschließenden Diskussion als Psychiater zu erkennen gibt: Anders als viele seiner Kollegen halte er die „andere Liebe“ nicht für krank und freue sich, sich durch das, was gezeigt werde, in dieser Ansicht bestätigt zu sehen.

Eine Offenheit immerhin, die allerdings nicht repräsentativ zu sein scheint. Sollte das doch recht ungenierte und eindeutig männliche Stöhnen in die Stille eines an sich eher zurückhaltenden Lesbenfilms hinein nicht völlig mißverstanden sein, dann könnte Natascha, eine der russischen Besucherinnen, durchaus recht haben: Sie und ihre „geliebte Frau“ jedenfalls gingen davon aus, daß viele der Männer ganz einfach „Gaffer“ seien, die sich von der Hoffnung auf ein bißchen Pornographie hätten locken lassen. Mag es heterosexuellen Männern, wie man ja hören konnte, gefallen haben – was „ihre“ Filme, vor allem aber deren Darstellerinnen angeht, scheinen die russischen Frauen entschieden anderer Meinung.

Wenn es einen Kommentar gibt, der während des Festivals von nahezu jeder Frau wiederholt worden ist, dann den folgenden: Warum bloß sind fast alle der Frauen, die in den Filmen zu sehen sind, so unglaublich häßlich? Häßlichkeit – was ist das? Der Ungeduld der Antworten nach zu urteilen eine dumme Frage. Häßlich, so die unisono erteilte Auskunft, ist unweiblich, und unweiblich wiederum scheint all das zu sein, was nicht makellos ist. Eine Sexszene zwischen einer alten und einer jungen Frau jedenfalls verursacht einigen Wirbel, und das nur, weil der älteren anzusehen ist, daß sie gelebt hat.

Insofern fast verwunderlich, wenn zumindest ein Film, „Mein ist dein ganzes Herz“ von Elke Goetz, auf große Begeisterung stößt; und das, obwohl auch er eine Frau zeigt, die phänotypisch eher „männlich“, also weder „weiblich“ noch „schön“ ist. „Auch wenn ich Jackett und Jeans trage, mein Gesicht ist feminin“, so etwa L., die, wie sie sagt, auch deshalb enttäuscht ist, weil keiner der Filme ihr habe sagen können, warum eigentlich sie Frauen und nicht Männer liebe. Daß sie es hasse, ihre Freundin in Hosen zu sehen, daß sie kein Mann sei, ihre Freundin aber so liebe, als sei sie einer, also ohne sich von ihr berühren oder auch nur ganz ausziehen zu lassen, für all das müsse es doch einen Grund geben.

Lena, eine Hetera übrigens, die einzige, die einen sturztrunkenen Mann zurechtwies, der diversen Frauen vor die Füße gekotzt hatte, versucht eine Erklärung: daß es an der extrem patriarchalen Gesellschaft liege, deren Geschlechterrollen selbst Lesben zu Konformität geradezu nötigten.

Dies stößt auf einhelligen Widerspruch.

Einer Umfrage aus dem Jahr 1989 zufolge würden Schwule und Lesben von 33 Prozent der Befragten am liebsten „ausgerottet“, von 30 Prozent „inhaftiert“ und nur von 10 Prozent „in Ruhe gelassen“. Angesichts des statistisch doch eher seltenen Glücks einer freundlichen Umgebung überrascht es, wenn auch Olga Krause, Herausgeberin des Petersburger Lesbenjournals Erwachen bestätigt, daß sie so etwas wie Diskriminierung nie erlebt habe: „Als Lesbe jedenfalls nicht, als Frau mit deutschem Namen schon eher. Probleme hatte ich weder mit den Müttern meiner Freundinnen noch mit den Nachbarn, auch in der Kommunalwohnung nicht. Man respektiert mich als Frau, und vielleicht bewundert man mich auch, weil ich Künstlerin und Liedermacherin bin.“ Nicht Diskriminierung, sondern viel eher der gerade auch unter Lesben weit verbreitete Alkoholismus, vor allem aber ihre soziale Isolation – das, so seien die eigentlichen Probleme.

Eine Schwulenbar im Zentrum, eine andere, die aufgrund gewalttätiger Ausschreitungen kaum noch frequentiert wird und, zu guter Letzt, die Lesbendisko in einem Neubaublock am äußersten Rand der Stadt – das eigentlich ist es schon, was die Fünf-Millionen-Metropole Sankt Petersburg bietet. Angesichts allein der Eintrittspreise von umgerechnet 8 Mark bei einem Monatseinkommen von rund 120 Mark verwundert es nicht, wenn die meisten Lesben, aber auch viele Schwule es vorziehen, sich weiterhin privat oder aber anläßlich einer eher kulturellen Veranstaltung zu treffen – wie zum Beispiel auf dem Filmfestival.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen