piwik no script img

Banges Warten auf den Tag X

Nach Verschärfung des Asylrechts: Abschiebeapparat läuft auf Hochtouren / Allein 1993 wurden in Berlin fast 1.400 abgelehnte Asylbewerber ausgewiesen  ■ Von Frank Kempe

Das Schluchzen der Afrikanerin in Kabine 3 wird lauter: Die von Weinkrämpfen geschüttelte Frau sieht ihren Mann, der vor ihr, aber hinter einer Glasscheibe sitzt, zum letzten Mal vor seinem Abflug in die Heimat. Auch Mohammed Nadjib* in der Sprechkabine nebenan kann die Klagelaute hören – trotz der Mauern und Trennscheiben, die im Besuchertrakt des Polizeigewahrsams in der Kruppstraße 15 selbst das Geräusch einer alten Waschmaschine im Schleudergang schlucken dürften. Der 24jährige Afghane legt sein fahles, fast schon graues Gesicht in Falten: „Viele drehen durch vor Angst“, sagt er leise. Dann führt ihn der Wachpolizist ab – vorbei an der braun getünchten Wand, auf der sich Flüchtlinge wie „Adnan“ und „Osman“ verewigt haben: Namen der Namenlosen, letzte Spuren derer, die in dem Moabiter Backsteinbau wie jetzt Nadjib auf ihre Abschiebung warteten.

Momentaufnahmen aus dem vor der Öffentlichkeit abgeschirmten Innenleben des Berliner Abschiebeapparates, der nie so gnadenlos rotierte wie heute. Seit der Verschärfung des Asylrechts vom Juli 1993 setzten die Abschieber von der Spree zum Höhenflug an: Im vergangenen Jahr brachte Berlin 1.398 abgelehnte Asylbewerber außer Landes. Das sei im Vergleich zu 1992 eine Versechsfachung, jubelt Norbert Schmidt, Sprecher von Innensenator Heckelmann (CDU). Mit 25.915 abgeschobenen Flüchtlingen gab es im gleichen Zeitraum bundesweit „nur“ eine Verdreifachung. Gleichwohl ist Schmidt mit Berlins Rauswurf-Statistik nicht zufrieden: „Wir werden uns bemühen, da noch draufzulegen.“

Säumig bei der Abschiebung zu sein – das kann sich die Hauptstadt nun wirklich nicht nachsagen lassen. Öfter und „erfolgreicher“ denn je schwärmt die Arbeitsgruppe „Gezielte Ausländerüberwachung“ zu Razzien oder Festnahmeaktionen in Asylbewerberheime aus. Doch für die meisten abgewiesenen Asylbewerber, die von Aufgreiftrupps geschnappt werden, kommt vor der Abschiebung erst einmal die Haft. Denn häufig besitzen sie keine Ausweispapiere und können deshalb nicht sofort abgeschoben werden. Stets warten rund 170 Menschen hinter Gittern auf ihre erzwungene Ausreise: Etwa 140 in der Kruppstraße und zwei Dutzend im Frauengefängnis Plötzensee.

Für „Schnellabschiebungen“, bei denen der Flüchtling innerhalb von 48 Stunden außer Landes gebracht wird, stehen im Polizeigewahrsam Gothaer Straße weitere Haftplätze bereit. Nicht genug für die um eine höhere Abschiebequote bemühte Innenbehörde. Demnächst sollen die Kapazitäten um weitere 200 Plätze aufgestockt werden. Denn mitunter komme es schon jetzt „in den Stoßzeiten zu einer knüppelengen Belegung“, sagt Schmidt.

Viele der in Acht-Bett-Zellen eingesperrten Gefangenen, in der Mehrzahl abgelehnte Asylbewerber, stünden unter „enormem psychischem Druck“, sagt Pater Bernd Günther, der katholische Seelsorger im Moabiter Abschiebeknast. „Da sitzen depressive Leute drin.“ Die bleierne Ungewißheit, wie lange sie in Haft bleiben und was bei der Rückkehr mit ihnen geschieht, laste schwer auf den Insassen, die oft keine Angehörigen hätten. Viele Häftlinge, darunter auch 15- und 16jährige, lebten in einer Art pausenlosem Dämmerzustand. Etliche drohten regelmäßig mit Selbstmord. Dennoch kümmerten sich weder Psychologen noch Sozialarbeiter um sie, nicht einmal Übersetzer gebe es, klagt der Geistliche.

Das Gesetz macht es den Abschiebebeschleunigern leicht: Um einen „ausreisepflichtigen“ Ausländer bis zu sechs Monate in sogenannte „Sicherungshaft“ nehmen zu können, reicht nach Paragraph 57 des Ausländergesetzes bereits der „begründete Verdacht“, daß sich dieser der Abschiebung entziehen will. Und: Die Haft kann „in Fällen, in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert, um höchstens zwölf Monate verlängert werden“. 18 Monate drohen zum Beispiel Nadjib, der sich weigert, „Paßersatzpapiere“ bei der afghanischen Botschaft zu beantragen. Dies werde stets als Versuch gewertet, die Abschiebung zu verhindern, sagt Joachim Rüffer, Flüchtlingsberater beim Deutschen Roten Kreuz. Zynismus pur: Die Häftlinge sollen an ihrer eigenen Abschiebung basteln.

Dabei hilft oft selbst eine Zusammenarbeit zwischen Gefangenen und Behörden nicht. Nach dem „Asyl-Erfahrungsbericht 1993“ des Bonner Innenministeriums liegt die „Erfolgsquote“ bei der Paßbeschaffung bei unter 20 Prozent; das entspricht 27 Ländern. In der Ministerial-Akte A 3 – 125415/10 stehen in diesem Zusammenhang Iran, Algerien, Libanon, Burkina Faso, Sierra Leone und Vietnam an vorderster Stelle. Ohne Aussicht auf Papiere sind von jeher Palästinenser aus dem Libanon. „Sie bekommen einfach keinen Paß“, sagt Pater Günther. Ungeachtet der nicht eben gerade neuen Erfahrung werden sie eingelocht – und spätestens nach einem halben Jahr auf freien Fuß gesetzt. Das sind Ausnahmen. Für die meisten ist die Abschiebung nur noch eine Frage der Zeit.

Alarmiert von Pater Günther und Flüchtlingsberatern über die menschenunwürdigen Zustände leistet der Arbeitskreis Asyl der Katholischen Studentengemeinde den Gefangenen seit Ende Februar Beistand. Rund 40 Studenten beteiligen sich an einem organisierten Besuchsdienst. Zunächst loten die ehrenamtlichen Besucher aus, „ob juristisch noch etwas gegen die Abschiebung zu machen ist“, sagt Frank Godemann, 26jähriger Medizinstudent und einer der Initiatoren. Da nur in wenigen Fällen eine Freilassung zu erreichen ist, beschränkt sich die letzte Hilfe darauf, mit den Häftlingen über ihre Ängste und Probleme zu reden und sie zum Beispiel mit Zigaretten oder Schokolade zu versorgen. Die Zustände in der Abschiebehaft, erzählt ein Gefangenenbesucher der ersten Stunde, seien so schlimm, daß einige trotz massiver Furcht vor der Rückkehr ihre Abschiebung förmlich herbeisehnten. „Denen ist alles egal, sie wollen nur noch raus“, meint der 27jährige. Mit den Besuchen solle den Wachbeamten gezeigt werden, „daß jeder ihrer Schritte genauestens beobachtet wird“.

Der Gang in die Kruppstraße fördert immer wieder Unglaubliches ans Licht: So erfuhren die Studenten, daß einige Insassen über Monate stumm bleiben mußten, weil in ihren Zellen ausschließlich Flüchtlinge saßen, mit denen sie sich nicht verständigen konnten. Unerträglich sei überdies, daß vielen keine Ersatzkleidung gestellt werde, ergänzt Godemann. Sie müßten monatelang in den Klamotten herumlaufen, die sie bei ihrer Festnahme trugen. Auch über Mißhandlungen durch die Polizei werde immer wieder geklagt: Vor einigen Wochen soll ein Libanese von Beamten verprügelt worden sein. Die Folge: eine Woche Klinikaufenthalt. „Es stinkt an allen Ecken und Enden zum Himmel“, so einer der Studenten.

Fast täglich kommt es nach Angaben von Nadjib unter den Gefangenen zu heftigen Prügeleien, die nicht immer von den Beamten gleich unterbunden werden. „Die gucken oft nur zu“, sagt der Afghane kopfschüttelnd. Andere wiederum richten ihre aufgestauten Aggressionen gegen sich selbst. So wie der albanische Häftling, der sich vor einem Monat selbst erhängen wollte und gerade noch rechtzeitig gerettet werden konnte. Lieber wollte der verzweifelte Mann sterben, als abgeschoben zu werden. Seine Frau darf vorerst bleiben. Der Albaner, berichteten Mithäftlinge, sei nach dem Suizidversuch sofort weggebracht worden und seitdem „einfach verschwunden“.

Der Gedanke an Selbstmord ist unter den Gefangenen offenbar weit verbreitet. Doch in diesem Punkt sind die Aufseher auf der Hut, womöglich wegen der Silvesternacht 1983/84: Während damals in der Mauerstadt allerorten die Sektkorken knallten, Böller und Raketen in den Nachthimmel stiegen, legten Häftlinge des Abschiebeknastes am Steglitzer Augustaplatz Feuer. Sieben Männer verbrannten qualvoll.

Gleichwohl scheint diese schreckliche Nacht bei den Uniformierten und ihren Vorgesetzten kaum mehr Verständnis für die Eingesperrten und deren Angehörige geweckt zu haben. Vieles von dem, was sich in der Kruppstraße abspielt, riecht nach Schikane.

So müssen die Besucher im Schnitt anderthalb Stunden im Freien vor dem Tor warten – falls sie bei dem Andrang überhaupt einen Besuchstermin ergattern. Viele Angehörige, die sich nur wenig verspäten, werden abgewiesen, auch wenn es für sie die letzte Möglichkeit ist, vom Häftling Abschied zu nehmen. Zuletzt wurde vor Wochen einem Türken, der seine nur Stunden vor der Abschiebung stehende Frau noch einmal sehen und ihr etwas mitgeben wollte, das Tor vor der Nase zugeschlagen. Wer zu spät kommt, den bestraft der Wärter. Überhaupt herrscht in der Kruppstraße Kasernenhof-Atmosphäre: „Bringen Sie nicht zuviel mit“, ermahnte jüngst ein Uniformierter eine Besucherin barsch, „das hier ist doch kein Sanatorium.“ Wie recht er damit hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen