: „PsychischeVernichtung“
■ Überraschender Freispruch im Prozeß wegen des Todes von Wolfgang Grahms
Freispruch für die Angeklagte – vier Zuschauer im Knast. Groteske Szenen gestern vor dem Amtsgericht Hamburg im Verfahren gegen die Herausgeberin des „Angehörigeninfos der politischen Gefangenen“, Jaenette H. Ihr war „Verunglimpfung der Bundesrepublik Deutschland“ vorgeworfen worden. Auslöser war der Abdruck eines Briefes der Angehörigen von Wolfgang Grahms. Das mutmaßliche RAF-Mitglied war vor genau einem Jahr bei einem Feuergefecht mit GSG 9-Beamten in Bad Kleinen erschossen worden. Die Angehörigen und einige Zeugen behaupten, Grahms sei „regelrecht hingerichtet“ worden.
In dem Bericht wurde Grahms Tod in den Zusammenhang mit der „Vernichtung der politischen Gefangenen“ im Knast gestellt und als „staatliches Programm“ definiert. Doch der Staatsanwalt machte gestern eine Kehrtwendung. Da die Angeklagte mit ihrer scharfen Kritik der BRD nicht vorwerfen wolle, politische Gefangene „physisch zu vernichten“, sondern nach ihrer Interpretation eher eine „psychische Vernichtung“ durch Isolationshaft stattfinde, wäre diese Interpretation durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt. Es sei nie darum gegangen, den Vorwurf der „Ermordung und Hinrichtung“ Grahms zu kriminalisieren.
Verteidiger Dieter Magsam wies hingegen darauf hin, daß mit dem Verfahren das Ziel verfolgt würde, auf kritische Berichterstattung Zensur auszuüben, Kritik zu unterdrücken und zu erreichen, daß sich die „Schere im Kopf“ breit mache. Magsam zu den jüngsten rechtsmedizinischen Ergebnissen: „Der Vorwurf der Ermordung war und ist nicht aus der Luft gegriffen.“
Dieser These schloß sich sogar Amtsrichter Nix indirekt an. Freispruch auf Staatskosten. Doch weil einige Zuschauer seinen Worten zu wenig Respekt zollten, ließ er eine Armada an Peterwagen auffahren und vier Zuhörer für einen Tag in Ordnungshaft stecken.
Kai von Appen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen