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Düstere Aussichten für Ex-Jugoslawien

UN-Diplomaten befürchten weitere Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzungen / Auch eine zweite Runde des serbisch-kroatischen Krieges wird nicht ausgeschlossen  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Während vor Ort ungeachtet des nach wie vor gültigen Waffenstillstands der Krieg eskalierte, wollten die „Kontaktgruppe“ genannten hohen Beamten der Außenministerien Rußlands, der USA sowie Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands für die EU gestern in Paris ihre endgültige Version einer neuen bosnischen Landkarte erstellen. Demnach soll das bisherige Territorium Bosniens zwischen der bosniakisch-kroatischen Föderation (51 Prozent) und den Serben (49 Prozent) aufgeteilt werden. Die Karte ist wichtigster Bestandteil eines Friedensplans für Bosnien, den die fünf Außenminister der Kontaktgruppe-Staaten statt wie zunächst geplant am Freitag dieser Woche nun voraussichtlich am 5. Juli in Genf absegnen wollen. Anschließend soll das Dokument dann den Kriegsparteien zur ultimativen Annahme vorgelegt werden.

Beim G-7-Gipfel am 8./9. Juli in Neapel, an dem auch der russische Präsident Boris Jelzin teilnehmen wird, sollen zudem Maßnahmen für den Fall einer Ablehnung durch eine oder beide Kriegsparteien vereinbart werden. Im Gespräch ist die Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien bei einem „Nein“ der Serben beziehungsweise die Lockerung der Wirtschaftssanktionen gegen Serbien, sollten die Bosniaken und Kroaten den Plan zurückweisen.

Innerhalb der Kontaktgruppe war bislang noch die Regelung für mindestens fünf Städte umstritten, die sowohl von den Serben wie von den Muslimen beansprucht werden. Den in einem ersten Kartenentwurf enthaltenen Vorschlag für eine gemeinsame serbisch-muslimische Verwaltung der mittlerweile „Graue Zonen“ genannten Ortschaften hatten die bosnischen Serben letzte Woche zurückgewiesen. In ihrem endgültigen Kartenentwurf wird die Kontaktgruppe jetzt voraussichtlich die Teilung einiger Städte vorschlagen, darunter die der bosnischen Hauptstadt Sarajevo.

Die Idee westlicher Kontaktgruppen-Staaten, den bosnischen Serben statt einer Landverbindung zwischen „ihren“ ost- und westbosnischen Gebieten durch die Posavina, eine Landschaft im Osten der ex-jugoslawischen Republik, lediglich einen Luftkorridor zuzugestehen, stieß zuletzt noch auf Bedenken Rußlands. Der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić erklärte die Posavina-Landverbindung derweil für „unverzichtbar“ und kündigte die „wahrscheinliche Ablehnung“ auch des endgültigen Teilungsvorschlages der Kontaktgruppe an.

Die Unterbindung eben dieses Landkorridors ist eines der wichtigsten strategischen Ziele der bosnischen Regierungsarmee, die ihre Offensiven in Zentral- und Nordbosnien gestern fortsetzte. Der bosnische Oberkommandierende, General Rasim Delić, erklärte, nun habe „der Höhepunkt des Krieges begonnen, die Phase zur Befreiung der von Serben besetzten Gebiete“. Die „serbische Eroberungskraft“ sei „zu Fall gebracht“ worden.

UNO-Diplomaten in Genf begründeten ihre Befürchtungen vor einer weiteren Eskalation des Krieges um Bosnien in Richtung auf eine Auseinandersetzung zwischen Kroatien und der bosnischen Föderation auf der einen, Serbien und den mit Belgrad verbundenen bosnischen Serben auf der anderen Seite auch mit Hinweisen auf den zunehmenden Waffenstrom vor allem an die bosnischen Regierungstruppen. Zudem mehren sich Hinweise auf die Vorbereitung großangelegter militärischer Offensiven. Die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation wachse, sollte Frankreich seine Ankündigung wahrmachen und bei einem Scheitern des Friedensplans der Kontaktgruppe mit dem Abzug seiner UN-Soldaten aus dem ehemaligen Jugoslawien beginnen. Dies könnte nach Einschätzung der Diplomaten innerhalb weniger Monate zu einem Abzug aller Blauhelm-Verbände nicht nur aus Bosnien, sondern auch aus Kroatien und Mazedonien führen. In diesem Fall drohe die Ausweitung des Krieges auf den Südbalkan.

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