: Gott, Vater und sexuelle Gewalt
■ Sexueller Mißbrauch in der Kirche: Evangelische Frauenhilfe faßt ein heißes Eisen an / Pfarrfrau der Gruppe „Religion und Inzest“ in Bremen
Erst wenige Tage ist her, daß es Bischof Degenhardt überkam: Sexueller Mißbrauch, so des Paderborners göttliche Eingebung, sei ursächlich der Emanzipation der Frauen zuzuschreiben; jenen Frauen, die ihre Männer ans Heim binden und in Windeln verstricken, wo die Wollust sich verbirgt. Verwirrte Geisteseskapaden, von denen abgesehen die Geistlichen bislang nicht viel zu sagen hatten. Die Kirche reagierte bislang vornehmlich mit Schweigen und Wegschauen auf das Thema: „Sexueller Mißbrauch in der Kirche - ein Tabu“ ist folgerichtig eine Veranstaltung überschrieben, die am Samstag vom Landesverband der Evangelischen Frauenhilfe in Kooperation mit dem Landesjugendpfarramt der Evangelischen Kirche durchgeführt wird. Die taz sprach mit der Hauptreferentin Jenny Schneider-van Egten, die die in Holland landesweit aktive ökumenische Arbeitsgruppe „Religion und Inzest“ mitbegründete.
Seit wann besteht diese Arbeitsgruppe, womit beschäftigt sie sich?
Jenny Schneider van Egten: Wir haben 1985 angefangen, nachdem das Buch „Religion und Inzest“ in Holland erschienen war, das eine Untersuchung über Frauen aus dem kirchlichen Bereich enthält, die Inzestopfer waren. Dabei stellte sich heraus, daß die Verarbeitung von Inzest schwerer ist für kirchliche Frauen, weil sie zusätzlich zum sexuellen Mißbrauch noch die religiösen Vorstellungen zu verarbeiten haben. So fragt beispielsweise eine Frau: Wenn Gott allmächtig ist, warum war er dann nicht da, als es passierte? Warum hat er mich nicht geschützt, will er mich bestrafen? Viele Frauen oder Mädchen erleben den Inzest so, als sei er vor Gott gerechtfertigt. Darüber wurde in der Kirche nie gesprochen und die Opfer wurden völlig alleingelassen. So haben wir eine Gruppe gegründet von etwa 15 Frauen, haben 1985 die erste Frauensynode in Holland veranstaltet und einen Workshop organisiert, bei dem wir Empfehlungen für die Kirche formuliert haben. Der holländische Rat der Kirche hat das aufgenommen und unterstützt.
Was waren das für Empfehlungen?
Zunächst, daß in der Seelsorge Fragen und enstprechende Äußerungen von Frauen überhaupt ernstgenommen werden. Früher wurde stets geleugnet, daß „dieser Christenmensch“ oder „so ein guter Vater“ das gemacht haben soll. Seit Jahren betreue ich eine Frau, die von einem Pfarrer sexuell mißbrtaucht worden war. Als sie den Mann später verklagen wollte, hat sich niemnand für zuständig erklärt. In der Kirche hat man das als juristische Angelegenheit abgetan, die Juristen meinten, das sei Sache der Kirche. Die Frau ging dazwischen kaputt und ist schließlich aus der Kirche ausgetreten.
Gibt es nur diese eine kirchliche Gruppe in Holland?
Mittlerweile sind Frauen in allen größeren Städten Hollands aktiv. Es gibt Gruppen, die intensiv Öffentlichkeitsarbeit machen, andere kümmern sich direkt um die Opfer. Die Arbeit mit Tätern überlassen wir anderen, das müssen wir Frauen nicht auch noch übernehmen. Akzeptiert die Kirche Ihre Bemühungen?
Das hat lange gedauert, aber langsam treffen wir auf Verständnis.
Auch in Form von Unterstützung?
Nein, wir haben ein Budget von 2500 Gulden und arbeiten alle ehrenamtlich.
Sehen Sie einen Unterschied zwischen der holländischen und der deutschen Kirche?
Ja, ich glaube, bei uns ist die Aufklärung, die Sensibilität gegenüber dem Thema doch mittlerweile etwas größer, auch die Macht der Kirche wird offener in Frage gestellt. Allerdings wird das Gros der Themen, zumal, wenn es um die Diskriminierung von Minderheiten geht, von Frauenseite, von der feministisch geprägten Theologie aus angesprochen und angepackt.
Inwieweit leisten christliche Tradition und patriarchale Strukturen der sexuellen Gewalt Vorschub?
Die Vertreter vermitteln das Gefühl, daß ihre Normen von oben kommen, sie also eine höhere Autorität repräsentieren und folglich mit den vermeintlich unter ihnen stehenden Menschen machen können, was sie wollen. Zusätzlich fördert die Kirche bestimmte Rollenerwartungen. Die Frau fühlt sich geborgen in ihrer traditionellen Rolle, die ihr in der heiligen Familie zugeschrieben wird, doch auch in der christlichen Familie findet sexueller Mißbrauch statt.
Wäre es für eine Frau nicht konsequenter, aus der Kirche auszutreten, statt zu versuchen, Sie zu reformieren?
Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder wir machen unsere Frauenkirche oder wir versuchen, etwas zu verändern. Mein Herz schlägt eigentlich für diese Frauenkirche, aber meine Arbeit erfordert es, in dieser Kirche zu bleiben. Für die Frauen, die dort unter der doppelten Unterdrückung leiden, ist es wichtig, daß sie noch irgendwo jemand finden, mit dem sie reden können. Fragen: Dora Hartmann
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