: Liebesgrüße für die Reichskanzleiablage
Unzählige Frauen haben Adolf Hitler Liebesbriefe geschrieben. Eine Auswahl wurde nun veröffentlicht ■ Von Stephan Schurr
Berlin 1946. Ein amerikanischer Soldat besichtigt die verwüstete Reichskanzlei. In einem Raum, der von Papieren übersät ist, fällt sein Blick auf Briefumschläge mit merkwürdiger Adresse – an „Unseren geliebten Führer“. Er nimmt die Briefe mit und bemerkt erst zu Hause, welchen Fund er gemacht hat. In diesen Wochen und Monaten fährt William C. Emker oft zu dem verlassenen Gebäude, drückt sich an den russischen Posten vorbei, stöbert in den Papierbergen und steckt die Ausbeute in seine Aktentasche. Schon bald türmen sich bei ihm fast 8.000 Briefe, Tagebücher, Gedichte und Zeichnungen, die Hitler zugedacht waren. Ein kleiner Teil davon ist nun veröffentlicht worden, 43 Briefe verliebter Frauen. Der Mann ihrer Träume heißt Adolf Hitler.
Kurz vor Kriegsausbruch 1939 schreibt „Maria“ aus Berlin voller Inbrunst: „Du süßestes herzensbestes Lieb, mein Einzigstes, mein Allerbester, mein trautes und heißest Geliebtes. Weißt Du, heute könnte ich Dir gar nicht genug Namen geben, heute möchte ich Dich vor lauter Lieb' auffressen. Was würden aber da die andern sagen?“ Maria hätte nach dieser Mahlzeit ihren Verlustschmerz mit vielen teilen müssen – mit Emmi, Rosa, Hanna, Mia und all den andern nämlich, deren Briefe in diesem Buch versammelt sind. Und mit Erna, die ihren Brief wenige Monate vor der Kapitulation noch tapfer mit „Heil und Sieg Erna J.“ unterschrieb.
Auch „Ritschilie“ wäre über den Verlust ihres „Süßen Adilie“ traurig gewesen: „Lieber Adi!“ schreibt sie im Sommer 1941, „Du wirst gewiß etwas Sehnsucht nach mir haben. [...] Ich bin manchmal sehr traurig. [...] Du süßes Luderchen, innige Küsse.“ Ein beigelegtes Foto zeigt eine Frau um die 40 mit Trauermiene. Sie trägt ein unauffälliges schwarzes Kleid und ein Hütchen auf dem Kopf. Der Grund ihrer Trübsal: Weder sie noch die anderen Verehrerinnen bekamen auf ihre Liebeshymnen eine Antwort. Hitler hat die Briefe nie gelesen. Die Liebesgaben – Kuchen, Kissen, selbstgemalte Bilder, Glückskleeblätter – wurden von Reichskanzleibeamten verwaltet. Akribisch versahen sie die in Sonntagsschrift geschriebenen, zum Teil mit Blumengirlanden verzierten Briefe und Postkarten mit dem „Eingangsstempel“. Ihre Anweisung: „Ablegen“.
Nicht immer fanden die Liebeshuldigungen jedoch ein so harmloses Ende in der Tiefe des Aktenschranks. Manche Absenderinnen gerieten in Gefahr, als „Geisteskranke“ ermordet zu werden. Ein Ministerialrat aus der Reichskanzlei macht die Polizei auf eine Frau aus Berlin aufmerksam, die er als „geistig nicht ganz normal“ bezeichnet. Er bittet darum, „den Unfug abzustellen“. Anna W. hatte in einem ihrer Briefe einen Meßbesuch in der Hedwigkathedrale geschildert und Gedichte eines „18jährigen Mädels“ aufgeschrieben. Zwei Monate darauf wird sie in die Heil- und Pflegeanstalt Wittenau eingewiesen. Nur knapp entkommt sie der Deportation.
Ein Fall, der den Herausgeber des Buches wahrscheinlich zu dem unverständlichen Untertitel „Briefe in den Tod“ inspirierte. Übereifrig ist hier ein Aufklärer am Werk, der den Rechtsradikalen mit seinem Büchlein den Kampf ansagt. Dazu benutzt er Waffen aus der Rumpelkammer der politischen Bildung: Schocktherapie und Betroffenheitsgestammel. Um dem „Leser ausreichend Platz zur eigenen Reflexion einzuräumen“ – so das Vorwort –, stellt Helmut Ulshöfer den Briefen Dokumente gegenüber, zum Beispiel Bilder von Frauen im KZ, von Leichenbergen, von einer Erschießungsszene. Ein Foto mit Überlebenden eines Bombenangriffs hat die Unterzeile: „Zweifel, Hoffnung, Wut“.
Gewiß, diese Briefe sind bestens dazu geeignet, einige Ingredienzen der nationalsozialistisch-deutschen Mentalität offenzulegen. Sie strotzen vor Fanatismus, Unterwürfigkeit, Kadavergehorsam, Sentimentalität und ideologischer Verblendung. Eine Pragerin, die an die „Verehrte Majestät“ schreibt und in ihrem „Verehrungsbrief“ feststellt, „daß Ihre Majestät formal nicht gekrönt sind“, nennt die Qualitäten ihres „innerlichen Lebens“: „vollkommene Arierin, chirurgische Liebe zur Hygiene, sehr schlicht“.
Ein anderes „sehr schlichtes“ Gemüt, Maria W., die gerne Propagandaleiterin geworden wäre und ihren Brief mit „Heile Sieg“ beschließt, ärgert sich, daß sie den Namen von „früheren Kommunisten“ nicht herausbekommen hat. Und immer wieder kommt eine Überzeugung zum Vorschein, die selbst heute noch von den Ewiggestrigen kolportiert wird: Hitler war ein braver, rechtschaffener Mann, der von den Verbrechen seines Regimes nichts gewußt hat. Eine Aushilfsangestellte, die Hitlers Bart so verführerisch findet, hat so großes Vertrauen in die gütige Allmacht ihres „Liebsten“, daß sie ihn um die Aufklärung des Schicksals eines verschleppten polnischen Geistlichen bittet. „Ich hatte allen gesagt, daß ich zum Führer geschrieben habe, und wenn man zum Führer schreibt, dann bekommt man auch eine Antwort.“
Doch diese Briefe sind auch Zeugnisse verzweifelter Frauen, die ihrer Einsamkeit durch die Flucht in eine Wahnvorstellung entkommen wollten: „Du gibst mir im Rundfunk soviel zu verstehen“, schreibt „Frau Rosa M. und glaubt „jedes Zeichen zu kennen“. „Muß an Dich schreiben, denn ich bin so allein“, beginnt die „liebe gute Miele“ ihren Brief, in dem sie auch mitteilt, daß sie in einer Kaserne Strümpfe stopft, im stillen Kämmerlein Hitler-Fotografien ausbreitet und sie mit Küssen bedeckt. Eine Frau aus Königsberg schildert dem „Herzensmann“, was sie in ihrem Waschtisch aufbewahrt, beklagt sich über die Wucherpreise und legt die Hausschlüssel bei: „Und, wenn alle Stränge reißen, haben unsere Eltern (denn Deine sind es ja jetzt auch) mir erlaubt, daß Du jederzeit zu uns ins Haus kommen kannst, also dann übernachten wir dann gemeinsam im Elternhause!“
Friedel S. sagt es deutlicher: „Lieber Führer Adolf Hitler! Eine Frau aus dem Sachsenland möchte gern ein Kind von Ihnen haben. [...] Dies ist mein größter Wunsch dessen Erfüllung ich mit der ganzen Kraft meines Herzens ersehne. [...] Als Frau grüße ich Sie herzlich von Mensch zu Mensch.“ Unübertroffen bleibt jedoch Evas „Patriotismus“: „Liebling, darf ich bald zu Dir kommen? [...] ich küsse Dich auf deine 4 Buchstaben und tue Front frei, damit Du fühlst wie lieb ich Dich hab. Mehr Patriotismus kannst Du nicht verlangen. Die Herrschaft hier ist ganz nett, doch bin ich ungern allein im Bett [...] Bitte, Schatz, mache mir eine große Freude und beglücke mich mit einer Überraschung. Bitte eine schöne.“ Es folgen zehn Ausrufezeichen und der Gruß „Heil Adölflein“.
Ob Luise, Maria und all die andern, die für Hitler beteten, ihm Kissen stickten oder ihn wegen ihrer Liebesbekundungen um Verzeihung baten – „ach bitte stecken Sie mich nicht ins Konzertlager [sic!]“ –, einer „kritischen wissenschaftlichen Bewertung unterzogen werden sollten“, in „soziologischer, sexualwissenschaftlicher und psychologischer Hinsicht“, wie es Ulshöfer in seinem Vorwort anregt? Zweifel sind angebracht, denn von dem aufgebauschten „Themenkomplex“ könnten die Herren von der Reichskanzlei und Himmlers Stiefelputzer verdeckt werden. Und welche Erkenntnis wird der Geschichtsforschung durch diese Zeilen einer Französin beschert? „Chesières, den 5. August 1940. Sehr verehrter Herr Oberreichskanzler! Wäre es möglich, mir beiliegenden Vertrag unterschrieben wieder zukommen zu lassen? Der Unterzeichnete bezeugt hiermit, Fräulein Anne- Marie R... zum gesetzlichen Ehegatten zu nehmen.“ Der Gipfel der Kollaboration oder, was wahrscheinlicher ist, die Folge eines Sonnenstichs.
Helmut Ulshöfer (Hrsg.): „Liebesbriefe an Adolf Hitler – Briefe in den Tod. Unveröffentlichte Dokumente aus der Reichskanzlei“. 91 Seiten, Paperback, VAS – Verlag für Akademische Schriften, Frankfurt/Main 1994, 19,80 DM
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