■ Zur rot-grünen Perspektive in Sachsen-Anhalt: Aber zu welchem Preis?
Nachdem alle Uhren trotz der erheblichen SPD-Zugewinne, trotz der dramatischen Verluste für die CDU und des parlamentarischen Aus ihres Regierungspartners FDP auf Große Koalition gestellt wurden, war keine 24 Stunden später eine sensationelle und befreiende Alternative im Gespräch: die rot-grüne Minderheitenregierung in Sachsen-Anhalt. Endlich scheint ein politischer Kurswechsel im von höchsten Arbeitslosenzahlen und politischen Krisen belasteten Sachsen-Anhalt möglich. Endlich hat die SPD Farbe bekannt und setzt auf rotgrüne Reformpolitik.
Endlich kommt auch der Wahlkampf in Fahrt. Der Magdeburger Kick, so hofft man in den Parteizentralen, ist im Wahljahr zehnmal wertvoller als Werbeagenturen. Der ruhige, harmoniebedürftige SPD-Chef Höppner fordert die Macht – risikobereit und verwegen und deshalb um so sympathischer nach den drögen letzten Monaten des Wahljahrs, in denen bisher nichts in Fahrt kam außer dem Kanzler. So soll es sein: SPD und Bündnisgrüne, die einzigen Parteien, die in den demokratischen Traditionen Ostdeutschlands stehen, regieren gemeinsam. Und auf den Oppositionsbänken sitzt endlich zusammen, was zusammengehört: PDS und CDU, beide Meister im Verdrängen ihrer Verantwortung für das Desaster, in dem sich Sachsen-Anhalt nach vierzig Jahren DDR und vier Jahren CDU/FDP befindet. Einen Haken hat die Sache allerdings: Auf diesen Oppositionsbänken stellen CDU und PDS die Mehrheit des Parlaments, denn der Osten wählte mehrheitlich konservativ, mehrheitlich die alten Verhältnisse in Deutschland, nämlich die Partei der alten Bundesrepublik und die der alten DDR.
So oder so: Das Wahlergebnis von Sachsen-Anhalt zeigt überdeutlich: Es gibt in Ostdeutschland eine Verantwortungslücke zwischen der CDU, die ihre Regierungsmehrheiten verliert, und einer rot-grünen Reformregierung, die keine ausreichenden Mehrheiten findet. Eine Verantwortungslücke bedeutet aber Unregierbarkeit. Eine rot-grüne Minderheitenregierung in Sachsen-Anhalt ist der Versuch, diese Lücke mit Politik zu füllen, für die es noch keine Mehrheiten gibt – im Parlament nicht und wahrscheinlich auch nicht in der Bevölkerung. Eine Mehrheit gegen Kohl reicht nicht – es braucht eine Mehrheit für neue Politik. Die ist dem Wahlergebnis von Sachsen-Anhalt nicht zu entnehmen. Ein wenig blauäugig beschreiben die Befürworter der rot- grünen Minderheitenregierung, daß Mehrheiten eben immer wieder neu gesucht werden müssen. Das klingt nicht schlecht, denn das klingt nach Öffnung von Fraktionszwängen, nach Dialog mit der Opposition, fast schon nach einer Art von Rundem Tisch. Aber die Wahrheit ist, daß eine Regierung nicht nur für Reformprojekte Mehrheiten braucht, sondern gelegentlich auch gegen Entschließungsanträge der Opposition, gegen Gesetzentwürfe einer Oppositionsfraktion oder gegen Mißtrauensanträge. Solche Mehrheiten entstehen gewöhnlich nicht durch Wohlwollen und Vertrauen, sondern in Verhandlungen und im Interessenausgleich. Dafür gibt es die sinnreiche Einrichtung von Koalitionen, die nicht nur Mehrheiten aushandeln, sondern auch Verantwortung teilen. Nichts ist komfortabler, als eine Regierung direkt und indirekt vor sich hertreiben oder blocken zu können, ohne für den Erfolg der Regierung Verantwortung zu haben.
Reformpolitik ist so entweder gar nicht durchzusetzen oder zu einem unvertretbar hohen Preis. Im Nachbarland Brandenburg wird er dafür gezahlt, daß es, um Neuwahlen zu vermeiden, eine Mehrheit für eine Minderheitenregierung gab. Aber da geht es nur um den Rest der Legislaturperiode und nicht den Anfang einer neuen Regierung. Über diesen Preis einer rot-grünen Minderheitenregierung gibt es noch dringenden Diskussionsbedarf, bevor ein Koalitionsvertrag unterschrieben werden kann.
Die CDU wird sich nicht kooperativ zeigen, nachdem ihr die SPD die Macht abspenstig gemacht hat. Und schon gar nicht im Bundestagswahlkampf. Um so kooperativer wird sich die PDS geben, deren erstes und vorrangiges Ziel es ist, gesellschaftliche und politische Akzeptanz zu erreichen. Freilich wird sie sich nicht billig machen. Generelle Absprachen zur Tolerierung braucht man da nicht, es genügt vorerst eine kooperative und partnerschaftliche Atmosphäre, die sich freilich auch nicht ganz von allein herstellt.
Eine von PDS und CDU gleichermaßen unabhängige Politik halte ich unter diesen Umständen für den berühmten Versuch der Quadratur des Kreises und eben nicht für die Zerschlagung des gordischen Knotens. Die bittere Wahrheit des Wahlergebnisses vom letzten Sonntag ist, daß die SPD jenseits einer Großen Koalition nicht an der PDS vorbeikommt, mit oder ohne Tolerierung. Eine Minderheitenregierung, die auf Tolerierung der PDS angewiesen ist, steht unter dem Zwang zur Verständigung, ohne daß die Gesprächspartner Verantwortung tragen.
Lohnt der Versuch trotzdem, um endlich neue politische Türen zu öffnen? Oder nimmt die SPD die instabile Situation um des bundesweiten Wahlkampfs und besserer Chancen in baldigen Neuwahlen willen in Kauf? Bessere Chancen für die SPD vielleicht. Aber was gewinnen die Bündnisgrünen? Sie werden vor allem für eine Stimmenmehrheit gegen die CDU ohne die PDS bei der Wahl des Ministerpräsidenten und für die politische Legitimation gebraucht. Ansonsten bleibt ihre Rolle marginal, denn sie können Mehrheiten weder sichern noch verhindern. Schließlich geht es beim Regieren nicht nur um die Kraft der Argumente.
Das Verhältnis zwischen SPD und PDS ist und bleibt die wichtigste Frage, die sich angesichts der ostdeutschen Parteienlandschaft ergibt. Die SPD ist darum nicht zu beneiden. Aber auch bei den Bündnisgrünen wird die Verhältnisbestimmung zur PDS zunehmend zum heißen Eisen in Ost und West. Längst geht es nicht mehr nur um die Frage, ob es gelingt, in der Wählerschaft der PDS zu wildern, sondern um zwei viel tiefer gehende Fragestellungen:
Erstens: Kann die PDS für uns eine bündnisfähige Partei werden? Ist sie wirklich, wie manche meinen, inzwischen eine demokratische Partei mit undemokratischer Vergangenheit, oder ist sie, wofür vieles spricht, aller Programmatik und ihrem äußeren Erscheinungsbild zum Trotz, nach wie vor die Partei, die in der Tradition der SED steht, inhaltlich und personell?
Und zweitens: Welchen Weg nimmt unsere eigene Partei? Beanspruchen wir mit der Entfaltung eines deutlich linken Profils einen Platz in einer vermuteten Lücke zwischen SPD und PDS, oder sehen wir unsere Verbündeten für ökologische und emanzipatorische Politik auch jenseits dieses Sektors traditioneller Interessenpolitik? Die Verhältnisbestimmung zur PDS kann Anstoß dieser Diskussion sein – ihre Lösung ist sie nicht. Marianne Birthler
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