Roter Halbmond über Bosnien

■ Mit der Stationierung von türkischen Blauhelmen ist das Diktum der Unparteilichkeit der UN zur Fiktion geworden

Split (taz) – Die Passanten in der Nähe des Spliter Nordhafens rieben sich gestern morgen verwundert die Augen, als sie die Kolonne mit Dutzenden von UNO-Fahrzeugen an sich vorbeirollen sahen. Denn das Emblem auf den Lastern, der rote Punkt mit dem weißen Halbmond und dem Stern, wies die neuen UNO-Soldaten als türkische Streitkräfte aus. Doch obwohl so mancher Einwohner Splits sich sicher an die Zeiten des Osmanischen Reiches erinnert fühlte, haben die türkischen Soldaten mit einer Rückkehr derjenigen Türken, die den Balkan am Ende des Ersten Weltkrieges hatten räumen müssen, natürlich nichts zu tun.

Im Gegenteil: Diesmal kommen die Türken als Schutzmacht. Nach einem Monate währenden Hickhack im UN-Weltsicherheitsrat war die Stationierung der Istanbuler UN-Truppe erst im Gegenzug zur Stationierung russischer Truppen in dem serbisch besetzten Sarajevoer Stadtteil Grbavića erlaubt worden. Die türkischen Soldaten werden nun in Stärke eines Bataillons (1.500 Mann) in Zentralbosnien, genauer in den Muslimhochburgen Zenića und Kakanj stationiert werden. Tatsächlich ist die Türkei damit nach über 70 Jahren wieder auf dem Balkan präsent – allerdings nicht als Besatzer.

Daß die Stationierung türkischer Soldaten ein Politikum sei, wollte der türkische Oberleutnant Asis demnach auch nicht bestätigen. „Wir sind hier im Auftrag der UNO und halten uns strikt an die uns übertragenen Aufgaben“, so der Offizier. Asis betonte, seine Truppe bestünde ausschließlich aus Berufssoldaten, die über eine eiserne Disziplin verfügten. Gemäß den Aufgaben als UNO-Friedenstruppe seien die türkischen Blauhelme nur leicht bewaffnet. Und in der Tat sind neben den üblichen MAN- und Mercedes-Lastwagen, den amerikanischen Jeeps und den Landrovern nur leichte gepanzerte Fahrzeuge zu sehen. „Die sind lediglich mit schweren Maschinengewehren und leichter Artillerie ausgerüstet“, sagt Asis. Diese Art von Waffen sei nur zur Verteidigung zu gebrauchen.

Gerade dieser Umstand zeigt, wie schwer sich die UNO-Oberen getan haben, schließlich doch der Stationierung von türkischen UNO-Truppen zuzustimmen. Denn UNO-Truppen aus anderen Ländern dürfen sehr wohl schwere Waffen zur Bewältigung ihrer Aufgabe heranziehen. So ist das „Nordische Bataillon“, die gemischte skandinavische UN-Truppe in Tuzla mit Panzern vom Typ „Leopard“ ausgerüstet, die durchaus in der Lage sind, auf weite Entfernungen beispielsweise Artilleriestellungen zu zerstören. Und auch die britischen und französischen UNO-Truppen verfügen über weit stärkere Waffen.

Gleichwohl sieht die bosnische Regierung die Installierung türkischer Truppen als Erfolg an. Denn die Forderung nach ihrer Stationierung gründete sich auf das Argument, daß mit der Stationierung russischer Truppen in der serbisch besetzten Zone das Diktum gebrochen worden sei, kein Land, das aufgrund historischer Interessen mit einer der Kriegsparteien verknüpft ist, dürfe auf dem Balkan UNO-Truppen entsenden. „Die Stationierung der Türken, die ich eigentlich begrüße, ist ein Anzeichen dafür, daß die Fiktion der Unparteilichkeit der UNO-Truppen aufgegeben ist,“ erklärt auch Faruk Hasanmuftić, ein Bosnier in Split. Glücklich ist er dennoch nicht: Er befürchtet, daß damit „die Teilung Bosniens festgeschrieben“ werden könnte. Erich Rathfelder