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Alles andere als Schulfunk

US-Campus-Radios: Die Sender der Indiana University in Bloomington  ■ Von Hans J. Kleinsteuber

In den USA hat jede Universität, die auf ihre Renommee achtet, seit langem mindestens einen Radiosender. Die Indiana University, eine große Staatsuniversität im mittleren Westen (34.000 Studierende), verfügt sogar über zwei. Der eine, mit den call letters WFIU, ist Bestandteil des National Public Radio Networks, wird professionell betrieben und hat einen Senderadius von etwa 70 Kilometern. Der zweite, WIUS, versteht sich als College-Radio, wird ausschließlich von StudentInnen gemacht und ist nur über das Kabelnetz Bloomingtons (ca. 80.000 Einwohner) zu empfangen.

WFIU wurde 1950 gegründet, damals als lokales educational radio auf dem FM-Band. Seinerzeit bestand an der Universität ein eigenes Institut, „Department of Radio“, dessen integraler Bestandteil die Station war. Lehrende und Studierende übertrugen ihre universitären Arbeitsergebnisse in die Praxis: Das war gut für die Ausbildung, nicht so gut für die Hörer, denen allerlei Amateurhaftes zugemutet wurde. Heute bietet die Station ein professionell produziertes Programm, sofort erkennbar an seinen anspruchsvollen Wortbeiträgen und der meist klassischen Musik. Voraussetzung dafür war allerdings, daß sich die Station vom Lehrbetrieb abkoppelte.

Das 24-Stunden-Angebot von WFIU erinnert an die einstigen Vollprogramme aus der Dampfradiozeit unserer öffentlich-rechtlichen Anstalten: Nachrichten und Hintergrundberichte in Magazinform, dazu Musikangebote, die im kommerziellen Format keine Chance hätten. Etwa 60 Prozent des Programms werden in Bloomington produziert, der Rest wird über Satellit vom National Public Radio Network zugeliefert.

Im Network sind etwa zweihundert Public Radios zusammengeschlossen. Die Zentrale ist in Washington D.C., wo auch die beiden Zugpferde produziert werden: die Magazinsendung „Morning Edition“ und die Nachrichtenanalyse „All Things Considered“. Sie zählen zum Besten, was das US-Radio zu bieten hat.

Ein Spitzenprodukt aus Indiana ist die populärwissenschaftliche Sendung „A Moment of Science“, in der sich Wissenschaftler der Universität in einigen Minuten zu einem Fachthema äußern. Die Beiträge sind so beliebt, daß sie von 33 weiteren Stationen des NPR-Netzes übernommen werden, so wie auch WFIU aus dem Angebot der Schwesterstationen interessante Beiträge herausfischt.

Ein Großteil des Musikangebots kommt aus Bloomington, zum Beispiel die 90 Minuten Jazz an jedem Nachmittag. Die Universität ist stolz auf ihre große und angesehene Musikschule, die über feste Sendeplätze verfügt, wo Professoren oder Schüler ihr musikalisches Können darbieten. Am Samstag gibt es Oper, manchmal live aus der Met in New York, aber auch schon mal aus dem Opernhaus der hiesigen Universität gesendet – oder in Übernahme vom Süddeutschen Rundfunk.

Finanziert wird WFIU über ein Basisbudget von der Universität, dazu erhält sie bundesstaatliche Zuschüsse, Spenden und Mitgliederbeiträge. 1.350 Abonnenten geben regelmäßig Geld, mindestens 40 Dollar im Jahr. Werbespots sind nicht erlaubt, dafür betreibt die Station das sogenannte underwriting. Örtliche Unternehmen können bestimmte Programme sponsern, sie werden dafür mit Namen, Adresse und Tätigkeit genannt.

Jeder Radio-Abonnent erhält monatlich die Programmzeitschrift Directions in Sound. Sie bietet eine präzise Übersicht, dazu ergänzende Programminformationen. Kürzlich lief eine Titelgeschichte über Dvorák, der – so lesen wir – vor einhundert Jahren ein tschechisch-amerikanisches Städtchen in Iowa besuchte und dort gleich zu komponieren anfing. Das Ergebnis, eine Verbindung tschechischer Folklore mit indianischen und afrikanischen Elementen, war auf WFIU zu hören – ein kultureller Zugewinn für den Hörer.

Die Station verfügt nur über wenige studentische Fans. Der typische Zuhörer ist weiblich, um die 60 Jahre alt, collegeerzogen und gutverdienend. Mit ihren besten Programmen erreicht die Station etwa 25.000 Menschen. In der Konkurrenz mit den drei kommerziellen Rock- und Country-Stationen am Ort schneidet sie nicht schlecht ab: WFIU kann die zweithöchsten Ratings vorweisen. Die Bindung an die Hörer, zumal die zahlenden, ist eng: Besonders gefürchtet sind die Beschwerdeanrufe bei falsch ausgesprochenen Komponistennamen.

Die Professionalität des Uni- Senders bedeutet keineswegs, daß Studierende vom Radiogeschäft ausgeschlossen wären. Etwa 25 verdienen sich dort mit Halbtagsjobs ein bescheidenes Auskommen, sechs davon als Ansager. Das News Department ist eine Domäne der universitären Journalistenschule, die die Nachrichten aus Uni, Stadt- und Kulturleben zusammenstellt. In der Musikredaktion arbeiten vor allem Studierende der Musikschule. Im Management tummeln sich angehende Kommunikationswissenschaftler. Die Studierenden können in der Station wie in Seminaren „Credits“ erwerben.

Wem die WFIU zu reglementiert und zu etabliert erscheint, der hat an der Indiana University eine zweite Chance: das College Radio WIUS. Die Universität stellt dem Sender ein kleines Haus zur Verfügung, dazu Licht und Heizung. Das Studentenparlament steuert 6.000 Dollar bei. Etwa 150 bis 200 Studierende arbeiten pro Jahr freiwillig mit, ohne einen Penny zu verdienen. Wer die äußerst beliebte Tätigkeit als Disc Jockey ausüben will, muß sich gleichzeitig verpflichten, auch unbeliebte Arbeiten in der Administration zu übernehmen. Dazu gibt es – wie in einer großen Station – eine Menge gut klingender Posten: Station Manager, Directors für Music, News, Promotions, Public Relations ... Der Chef der Station ist Chemiestudent und erweist sich in seiner wöchentlichen Jazz-Sendung als Kenner des Metiers.

Gespielt wird vor allem alternative music, ein Musikformat, das offensichtlich bei der studentischen Klientel ankommt: aktuelle Hits, viel von Independent Labels, vermischt mit One-World-Titeln aus aller Welt. Oft ist ein neuer Hit zuerst im College-Milieu erfolgreich, bevor er auf dem Musikmarkt ein Renner wird. Diese Avantgarde-Funktion ist der Station wohl bewußt; ihr Slogan lauatet: „You heard it first.“ Die Plattenindustrie liefert die CDs kostenlos an, mindestens 20 Tonträger kommen jeden Tag mit der Post, so daß die Station kostenlos ein riesiges Plattenarchiv aufbauen konnte. Die Musikindustrie schätzt die Werbewirksamkeit der College Radios – von denen es etwa tausend in den USA geben soll – als beträchtlich ein. Nach dem Musikauflegen üben sich die Eleven im „richtigen“ Radio. Berichterstattung aus dem Student Government, Reportagen vom College-Sport – bei Heimspielen wird live kommentiert.

Es klingt grotesk, aber die kleine college station darf jede Hörfunkwerbung betreiben, die sie für lukrativ hält. Dennoch hat der Sender große Schwierigkeiten, selbst bei den Pizzabäckern der Umgebung oder den Schallplattenläden Werbespots zu akquirieren. Die Station kann keine Ratings bieten, zudem ist das Publikum nicht sehr zahlungskräftig.

Die Beispiele zeigen ungefähr das Spektrum universitärer Radiokultur in den USA. Den Studentinnen werden dort für uns kaum vorstellbare Möglichkeiten geboten, erste Gehversuche im journalistischen Handwerk zu machen. Und das in einer Stadt, die von der Einwohnerzahl noch hinter deutschen Universitätsstädten wie Göttingen oder Heidelberg rangiert.

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