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„Alles ist möglich! Berlin ist frei!“

Vor dem Brandenburger Tor hielt US-Präsident Bill Clinton gestern seine als „historisch“ gepriesene Rede – Rhetorik war's, aber keine große / Tausende Jubelberliner applaudierten  ■ Aus Berlin Hans-Hermann Kotte

Reichstag, 11.05 Uhr. Gerade erzählt ein Kollege, daß die kommunistische Stadtregierung von Kalkutta kürzlich eine Straße nach Erich Honecker benannt hat. Doch wir müssen uns der Siegerseite zuwenden. Da kommen sie herein, Bill Clinton, Helmut Kohl und Jacques Delors. Mit dem Wind aus den riesigen gelben Schläuchen aus der mobilen Klimaanlage im Rücken, die extra an den „symbolischen Ort“ (Kohl) angeschlossen worden ist.

Pressekonferenz kurz vor der als „historisch“ angekündigten Rede des US-Präsidenten am Brandenburger Tor. Jeder hat ein eigenes Pult. Kohl in der Mittellage, links Clinton, rechts der scheidende EU-Chef. Dann halten sie alle drei die gleiche Rede. Die Message: Die „atlantisch-europäische“ Gemeinschaft sei keine geschlossene, bald dürfe auch der Osten rein. Ansonsten habe man auch noch eine gemeinsame Arbeitsgruppe gegründet zu „Drogenmafia“, dem „internationalen organisierten Verbrechen“ und „Geldwäsche“. So weit, so harmonisch. Doch nachdem Kohl nochmal den „Fahrbahn“-Ausbau der „transatlantischen Brücke“ (sprich: Friendship) gefordert hat, geht die Fragerei los.

Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich gerade den weltweiten Einsatz der großdeutschen Bundeswehr abgesegnet. Beschleicht den US-Präsidenten da nicht ein ungutes Gefühl? Nein, der fühlt sich „comfortable“ mit der Entscheidung. Und lädt den Bundeskanzler prompt zu einem möglichen zweiten Wüstensturm ein. Solche Einsätze seien für die Deutschen ja nun wohl kein Problem mehr. Der Kanzler reagiert prompt und reserviert. „Germans to the front“ habe das Karlsruher Gericht bestimmt nicht gemeint. Überhaupt: „Die Frage, wo und wann sich Deutschland engagiert, wird in Deutschland entschieden.“ Peng!

Durch die menschenleere Umgebung des Reichstags – wegen planlos aufgestellter und feierlich gemeinter Skulpturenkunst noch geisterhafter wirkend – geht es zum Brandenburger Tor. Die Security-Leute sind zwar allesamt weitaus jünger als Clint Eastwood („In The Line Of Fire“), laufen und rundblicken tun sie aber nicht halb so heldenmutig.

Helmut und Hillary und Bill und Hannelore treten aus dem Schatten des Mittelganges des Brandenburger Tores ins Sommerlicht. Der Applaus tausender von JubelberlinerInnen brandet auf. Kohl wird ein bißchen ausgepfiffen.

Würde Clintons Rede, an der noch bis Montag abend fünf Schreiber feilten, tatsächlich eine „historische“ sein? Oder doch bloß „purer Symbolismus“ für die Geschichtsbücher, der allerletzte Abglanz des Kalten Krieges, wie die Washingtoner Journaille vermutete? Rhetorik war's – aber keine große. Eher eine religiöse Ansprache für das Brandenburger Tor in Disney-Land. Mutter und Kind von der Mauer getrennt kamen vor, die bösen „tanks of tyranny“ der Sowjets, die „chisels of liberty“ der Mauerspechte und natürlich die abgestürzten Luftbrückenpiloten. Und am Ende des Vaterunsers: „Amerika steht an ihrer Seite jetzt und für immer“ (auf deutsch). Die Warnung vor Neonazismus beschränkte sich mehr oder weniger auf das Wort „Zivilcourage“ (zweimal auf deutsch) und wurde gleich neutralisiert durch den Schlachtruf: „Nichts wird uns aufhalten. Alles ist möglich. Berlin ist frei“ (ebenfalls auf deutsch).

„Na gut, Billy“, fällt einem beim Rückweg ein, vorbei an den gefährlichen Polizisten aus Magdeburg, die wannenweise in der Seitenstraße stehen, die jetzt wieder nach Wilhelm heißt. „Aber bitte nicht das ganze von vorn.“

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