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Jetzt ... sofort ... die ganze Nacht besetzt!

Der Tod aller Handlungsreisenden: Die Teleshopping-Firmen warten auf grünes Licht der EU  ■ Von Tilman Baumgärtel

„Rufen Sie jetzt an! Bestellen Sie sofort! Dieses Sonderangebot gilt nur für kurze Zeit! Wir akzeptieren alle gängigen Kreditkarten!“ Wer sich nachts durch die Kabelprogramme zappt, kennt die marktschreierischen TV-Spots und Reklame-Shows, die bei einigen deutschen Kommerzsendern für Blitz-Diäten, Strickmaschinen und garantiert unzerkratzbaren Autolack werben.

Da werden in hysterischen Spielsendungen Teppichreiniger getestet oder in Talk-Shows mit verblüffender Ernsthaftigkeit über ein Trimmgerät diskutiert. Am Schluß erscheint dann eine Telefonnummer, bei der man das Produkt bestellen kann. „Jetzt! Sofort! Unsere Telefonleitungen sind die ganze Nacht für Sie besetzt!“

Die Programme heißen „Infomercials“ oder „Direct Response Spots“. Auch in Deutschland zeigen Sender wie DSF, Vox oder RTL 2, die mit gängiger Fernsehwerbung wenig gesegnet sind, Homeshopping-Programme namens „Pump and Seal“, „Tele Bazaar“, oder „Regal Shop“. Und es sollen noch mehr werden. Auf einer Konferenz, die die amerikanische National Infomercial Marketing Association (Nima) kürzlich in Amsterdam veranstaltete, wurden noch mehr europäische TV- Anbieter mit den Vorzügen dieser Werbeform vertraut gemacht. Die Nachfrage ist offenbar da: Zu der zweiten Nima-Konferenz in Europa waren Fernsehmacher aus fast allen europäischen Ländern angereist, vom russischen Staatsfernsehen bis zu einem Sender aus Island, mitten unter ihnen auch RTL-Programmdirektor Marc Conrad.

In den Vereinigten Staaten gibt es Teleshopping-Programme schon seit 1984, als Ronald Reagan den US-Fernsehmarkt deregulierte. Heute wird in Amerika jährlich über eine Milliarde Dollar in diese Werbeform investiert. In der Europäischen Gemeinschaft hat die Kommission allerdings vor zehn Jahren eine Richtlinie erlassen, die ihre Bürger vor der eigenen Kaufwut schützen soll. Sie verbietet Werbeprogramme von mehr als einer Stunde Dauer. Auch Verbraucherschützer kritisieren an den Direct-Response- Angeboten, daß sie vor allem diejenigen zum Konsum animierten, die es sich am wenigsten leisten können: Arbeitslose, Kinder und arme Alte, die überproportional viel fernsehen. Dieses Argument wurde von verschiedenen Konferenzteilnehmern vorgetragen, freilich nur, um es sofort zu widerlegen: Der Bürger habe ein Recht, sich über neue Produkte zu informieren. Jedes Werbeverbot sei eine Einschränkung der freien Meinungsäußerung.

Jon Davey, Direktor der britischen Medienkontrollbehörde ITC, meint darum, daß diese EU- Richtlinie, die im Herbst dieses Jahres neu formuliert werden soll, auch gestrichen werden könnte. Shopping-Kanäle wie der amerikanische Sender QVC dürften dann in ganz Europa senden. Im seit der Thatcher-Ära ebenfalls deregulierten Großbritannien hat man freilich schon eine elegante Lösung gefunden, um QVC trotz Verbots der Europäischen Union eine Lizenz erteilen zu können: Das Nonstop-Shopping-Programm wird einfach nicht als Werbung betrachtet, sondern als eine Art Unternehmensverlautbarung.

QVC sendet bereits verschlüsselt über Astra und könnte so schnell auf den Bildschirmen aller EU-Länder erscheinen. Und die Versandhauskette Quelle denkt bereits laut darüber nach, ihren eigenen Shopping-Sender zu gründen. Denn wenn in einigen Jahren mit einem interaktiven Fernsehsystem auch Bestellungen direkt per Fernbedienung möglich sind, dann wird, so spekulieren die Unternehmen, immer weniger nach Katalog bestellt werden.

Einstweilen ist Teleshopping noch eine technologisch aufgemotzte Version des billigen Jakobs: Mit den schlampig synchronisierten Spots wird in Deutschland vor allem Ramsch verscherbelt, der in Einzelhandelsgeschäften und Warenhäusern keine Abnehmer finden würde. Doch gerade die technische Unzulänglichkeit bedinge den Erfolg von Direct Response Spots und Infomercials im europäischen Fernsehen, so das überraschende Ergebnis einer Stichprobenumfrage, die die Werbeagentur McCann-Erickson durchgeführt hat.

In den 50 Interviews erwies sich, daß holländische Kunden gerade weil sie Infomercials als bizarr, überkandidelt und „amerikanisch“ empfinden, ein beworbenes Produkt ordern – nicht weil sie an dessen Nutzen oder Qualität glauben, sondern als Dank für die gute Unterhaltung. Deshalb dürften Produkte, die so beworben werden, auch nicht teurer als 80 Gulden, umgerechnet 70 Mark, sein. Denn so wie man dem Propagandisten in der Fußgängerzone sein Allzweck- Küchengerät abkauft, weil man die Show genossen hat, so bestellen holländische Konsumenten auch den Wunderreiniger aus dem Fernsehen per Telefon – egal, ob er wirkt oder nicht.

Gjis Ten Kate, strategischer Planer der Werbeagentur BBDO, meint darum, beim Teleshopping werde der Konsum zum Spiel. Der Käufer könne sich zudem als Teil einer großen teleshoppenden Gemeinschaft fühlen. So wird das Fernsehen der neunziger Jahre gleichzeitig zum virtuellen Markt- und Spielplatz. Für manche allerdings kein billiger: Bei Homeshopping Network in den USA ordern Kunden auch schon mal Waren im Wert von 20.000 Dollar.

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