: Nicht erst seit Spielberg interessant
Die südpolnische Stadt Krakau – Ziel der jüngsten taz-LeserInnenreise ■ Von Barbara Häusler
Es wimmelt von Touristen. Seit Steven Spielberg „Schindler's List“ an Originalschauplätzen drehte – vor Schindlers Fabrik, im jüdischen Ghetto und im Steinbruch nahe dem ehemaligen Konzentrationslager Plaszow, keine 10 Fußminuten von der Stadtgrenze entfernt –, hat das Interesse noch zugenommen. Unter dem Motto „Visit Places from ,Schindler's List‘“ wird auf einem Plakat mit hebräisierenden Riesenlettern im alten jüdischen Stadtviertel Kazimierz für eine Stadtführung geworben.
Doch Krakau ist nicht erst seit Spielberg interessant. Als einzige polnische Stadt wurde die Stadt von den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs gänzlich verschont. 1978 wurde die Altstadt als erste Europas auf die Unesco-Liste des Weltkulturerbes gesetzt. Die Jagellonen-Universität studierten Kopernikus, aber auch Papst Wojtyla. Sie ist nach Prag die zweitälteste Universität Mitteleuropas.
Schon vor der politischen Wende 1989 präsentierte sich dem Krakau-Besucher eine selbstbewußte Stadt, die ihre Tradition und ihren Lebensstil gegenüber den Zumutungen der sozialistischen Mangelwirtschaft eigensinnig und – zumindest partiell – erfolgreich behauptete. Das ließ sich an vielen Details ablesen: an der liebevollen Gestaltung spärlich bestückter Schaufenster; am alten Mobiliar und Geschirr in den Kaffeehäusern aus der K.u.k.-Zeit, oder am Flaneurtempo auf dem aufgeschütteten ehemaligen Befestigungsgraben Planti, einer gepflegten Grünanlage, die den Altstadtbereich umschließt.
Vielleicht liegt darin der Grund, daß Krakau mühelos westliche Lebensstandards annimmt. Gleichzeitig beginnt man sich aber auch hier wie in ganz Polen an das zu erinnern, was wirklich verlorenging und womit man in der jüngsten Vergangenheit nur widerwillig, äußerst lückenhaft und teilweise geschichtsklitternd verfuhr: an das jüdische Leben.
Vierzigtausend Juden lebten vor dem Krieg in Kazimierz, einem Zentrum der jüdischen Kultur in Europa. Heute hat die Jüdische Gemeinde gerade noch 150 Mitglieder, das jüngste ist 65 Jahre alt. Hier waren und sind die Eigentumsverhältnisse noch ungeklärter als in der restlichen Stadt. Jahrzehntelang hat man sich in Krakau um dieses Viertel, das ebenfalls auf der Unesco-Liste des Weltkulturerbes steht, nicht gekümmert, und es verkam zu einer als „gefährlich“ bezeichneten Wohngegend.
Erst seit 1986 versuchen nun das „Forschungszentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Polen“ an der Jagellonen-Universität und das November 1993 in einem alten Bethaus in Kazimierz eröffnete „Zentrum für jüdische Kultur“ dieses teilweise auch mutwillig vergessene Kapitel der Stadtgeschichte aufzuarbeiten. Inzwischen sind und werden mit Spendengeldern bereits einige Gebäude renoviert, das jüdische Krankenhaus etwa und die Remuh-Synagoge neben dem ältesten jüdischen Friedhof Krakaus.
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200 mal 200 Meter mißt der von Renaissancepalästen gesäumte Hauptmarkt im Zentrum der Stadt. Zweifellos einer der schönsten Europas. Bänke, Cafés und Restaurants machen ihn zum kommunikativen Zentrum. In seiner Mitte erheben sich die mittelalterlichen Tuchhallen und der Turm des alten Rathauses, an seinem südwestlichen Ende steht die Marienkirche, die Krönungsstätte der polnischen Könige.
Der südliche Charakter des Platzes ist nicht nur dem geselligen Leben dort geschuldet: im 14. Jahrhundert holte König Kazimierz III. italienische Baumeister in die damalige Hauptstadt Polens. Nicht nur die Fassaden dieser vornehmlich von Adligen bewohnten Stadtpaläste veränderten sich im Lauf der Jahrhunderte, auch in den Innenräumen wurde barockisiert, übermauert und -gemalt. Eine Herausforderung für die polnischen Restaurateure. Sie entscheiden nun, was man beläßt oder zerstört.
Das fehlende Geld stellt eine ernsthafte Bedrohung für die Bausubstanz dar. Nach 1945 hatte der polnische Staat die Eigentümer zwar nicht enteignet, und von den rund fünfzig Gebäuden am Hauptmarkt befinden sich heute nur noch vier unter staatlicher Verwaltung. Der Direktor des „Denkmalkomitees der Stadt Krakau“ blickt skeptisch in die Zukunft. Das 1978 als Verein gegründete Komitee steht unter dem Patronat des Staatspräsidenten und ist für die Stadt Krakau von immenser Bedeutung. Hier werden Gelder beschafft, denn der Anteil staatlicher Mittel für die Denkmalpflege schwankt erheblich. Die Gelder werden in Abstimmung mit der Stadt eingesetzt, Beraterzirkel aus Architekten, Restauratoren und Kunsthistorikern zusammengestellt und Privateigentümer über denkmalpflegerische und ökologische Bestimmungen (beispielsweise beim Heizungsbau) beraten.
Die ehemals staatliche polnische Denkmalpflege wird mittlerweile zu 99 Prozent von privaten Firmen ausgeführt. In der Zwischenzeit bekommt man auch die Rezession im Ausland zu spüren, die sich auf die Spendenwilligkeit etwa der Partnerstädte niederschlägt. Dabei haben die Sponsoren durchaus Mitspracherecht; nach Vorschlägen des Komitees können sie auf ihrem Scheck vermerken, wo sie ihr Geld anlegen wollen.
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An Geld mangelt es bekanntlich auch den deutschen Goethe-Instituten, weshalb Institutsleiter Peter Seel von Glück reden kann, daß er einen so guten Draht zur Familie derer von Pototzki hat. Wo sich früher am Hauptmarkt Nummer 20 die alte Gräfin, die Gesellschaft der polnisch-sowjetischen Freundschaft und das Kultur- und Informationszentrum der DDR das Barockpalais teilten, residiert das Goethe-Institut seit Oktober 1990 gemeinsam mit einem Nachfahren der Familie – und mit adidas. Da Herr Waigel die Gesamtmiete nicht zahlen mag, steht neben der repräsentativen Messingtafel der Turnschuhschriftzug. Immerhin haben die Pototzkis diesen Mietvertrag auf zwei Jahre befristet, um dem Institut die Option auf das gesamte Haus offenzuhalten.
Das würde neben den bisherigen Schwerpunkten Film und Vortragsreihen mehr Platz für Ausstellungen schaffen. Derweil pflegt das Institut den Aufbau seiner gut besuchten Bibliothek, die vor allem von StudentInnen der Jagellonen- Universität genutzt wird.
Achtzigtausend gibt es davon, zehn Prozent der Stadtbevölkerung. Die Zimmer in den campusartigen Hochhaussiedlungen etwas außerhalb des alten Stadtzentrums sind nicht mehr umsonst, und auch Stipendiengelder fließen nicht üppig. An ein Ausweichen auf den freien Wohnungsmarkt, selbst in ein Stadtviertel mit Substandards wie Kazimierz, ist nicht zu denken. Wenn schon eine Universitätsassistentin bei einem ungefähren Einkommen von 2,5 Millionen Zloty (etwa 200 Mark; das Durchschnittseinkommen liegt bei 4,5 Millionen) für eine Kommunalwohnung 800.000 Zloty bezahlen muß, versteht man warum. Wie man damit überhaupt leben kann (ein Bier kostet 20.000, ein Kilo Gurken 10.000 und ein Essen der mittleren Preisklasse 65.000 bis 80.000), bleibt ohnehin rätselhaft.
Die Bischofsstadt Krakau galt immer als konservativ. Doch dafür war hier der Sozialismus „weicher“. Marek, Stadtführer und Polonist, erinnert sich, daß sein Professor 1983 das Studium der sozialistischen Ökonomie wegen Nichtexistenz derselben für obsolet erklärte und mit Kopien in Polen nichtveröffentlichter Schriften das Studium des Liberalismus anempfahl. Nur etwa fünf Prozent der Studenten waren seinerzeit in der „Sozialistischen Internationalen“ organisiert – eine privilegierte, so Marek, aber isolierte „Kaste“.
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Der Katholizismus dominierte auch das Frauenbild. Die Geschichtsstudentin Gabriela weist die Frage, ob sie schlechtere Berufsaussichten habe als ihre männlichen Kollegen, verständnislos zurück. Der einzige öffentliche Frauenverband heißt „Organisation dörflicher Hausfrauen“. 1989 wurde eine Untersuchung mit dem Titel „Zufriedene Sklavinnen“ veröffentlicht. Fazit: Nach wie vor dominiert das Bild der Frau als „Maria“, als „Mutter Polens“, die ihre Doppelbelastung deshalb als unangenehm empfindet, weil sie am liebsten zu Hause bleibt und für ihre Familie sorgt.
Daran hat auch die erbitterte Diskussion über ein neues Abtreibungsgesetz nichts geändert. Obwohl 70 Prozent der katholischen Bevölkerung die scharfe Position der Kirche in dieser Frage ablehnten, wurde keine Frauenfrage daraus. Auf Stellwänden in der Marienkirche, neben den gewohnten Bildern von Föten, kleinen Händchen und einem Kleinkinder herumschwenkenden Papst, versteigt sich die Kirche in eine Aufrechnung mit dem nazistischen Massenmord und argumentiert, nun wollten die Polen wohl selbst „die Nation vernichten“.
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