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Welch ein sexy Zug, der alles überrollt!

■ High Tech - die ist Spitze: 1115 Tage ICE - ein Grund zu feiern? Von Marco Carini

Wenn es um deutsche Spitzentechnologie geht, findet sich immer ein Anlaß zur Party. Computer-Spitzentechnologie im Dienst der Deutschen Bahn dürfte es auch gewesen sein, die herausgefunden hat, daß seit der Inbetriebnahme des ersten ICE am 2.Juli 1991 genau tausend Tage vergangen sind. Stimmt zwar nicht ganz (es sind 1115 Tage), macht aber nix. An Verspätungen ist die deutsche Bahn schließlich gewöhnt. Gefeiert wurde im Betriebswerk Eidelstedt der Deutschen Bahn das Tausend-Tage-Jubiläum deshalb gestern trotzdem.

Die Wortbeiträge der versammelten Prominenz aus Industrie, Politik und Verkehr lassen sich getrost auf drei Worte einschmelzen: Hochtechnologie, Exportchancen und Fahrkomfort. Daneben massig Erfolgsmeldungen, wie ökologisch und ökonomisch erfolgreich der ICE (65.000 Fahrgäste täglich, Jahresumsatz 1,1 Milliarden Mark) durch die deutschen Lande rauscht. Heinz Dürr, Vorstandschef der Bahn AG, bringt es dabei sogar fertig, sein Hohelied auf den ICE in Reimform vorzutragen (Den Wortlaut wollen wir den geneigten LeserInnen lieber ersparen!).

Dann ist Matthias Wissmann an der Reihe. „Mein Herz schlägt für die Bahn“, strahlte der aus Bonn mit dem Flugzeug herbeigeeilte Verkehrsminister, um anschließend wieder den Kopf einzuschalten: „Wir brauchen aber als Ergänzung den Transrapid“. Weil der eben „Spitzentechnologie“, Exportchancen“ und den Industriestandort Deutschland verkörpere. Gegenargumente kehrt der Christdemokrat souverän vom Tisch: „Wir dürfen solche Zukunftsprojekte nicht an tausend Bedenken zerschellen lassen“.

Was denn passiert, wenn sich die astronomischen Fahrgastprognosen in zweistelliger Millionehöhe für die Transrapidstrecke Hamburg-Berlin nicht erfüllen? Weil sowas „nur Bedenkenträger behaupten“ können, „muß sich der Minister „darüber wirklich keine Gedanken machen“. Doch dann ist keine Zeit mehr für weitere Nachfragen. Auf den Minister wartet bereits das nächste Flugzeug.

Und weil es um Exportchancen und Spitzentechnologie geht, hat die Bahn so ein richtig schön multikulturelles Jubiläumsfest auf die Beine gestellt. Herr Wong vom Handelsbüro Taipei ist ebenso erschienen, wie der stellvertretende Chef der polnischen Eisenbahn. Russische und chinesische Delegationen beäugen ebenfalls interessiert den Trassenflitzer, made in Germany.

Weil auch der chinesische Ministerpräsident Li Pang auf seiner Flucht quer durch Deutschland unlängst Interesse an einem schnellen Verkehrsmittel bekundete, hoffen die Zugbauer nun, daß das „Flaggschiff der deutschen Bahn“ demnächst zwischen Peking und Shanghai über kleinliche Menschenrechtsbedenken hinwegrollt. „Bald wird der ICE in Nordamerika und Asien fahren“, übt sich ein Bahnfunktionär in Optimismus. Bislang konnte allerdings noch kein einziger ICE-Waggon ans Ausland verkauft werden.

Ein paar handfeste Neuigkeiten gibt es dann am Rande der Feierlichkeiten dann auch noch: Der neue „ICE 2“, eine Kurzzug-Variante des Schienenflitzers mit einem neuen Antriebssystem, soll ab 1997 auf den schlechter ausgelasteten Bahnstrecken verkehren. Schon ab Mai 1995 soll auch Kiel an das ICE-Netz angebunden werden.

Und schon heute, so betont Dürr, gibt es im ICE-Betrieb „so gut wie keine Pannen mehr“. Daß etwa defekte Klimaanlagen dazu führen, daß eine sommerliche ICE-Fahrt bei Inneraumtemperaturen über 40 Grad keinen Seltenheitswert hat, ist dem Bahnchef gänzlich unbekannt. Wie hatte Ernst Stöckl, Vorstandsvorsitzender der AEG, unlängst so schön bemerkt: Bahnfahren sei durch den ICE „wieder sexy geworden“. Dieser Einschätzung mögen auch die hauptamtlichen Bedenkenträger der taz wahrlich nichts mehr hinzufügen.

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