piwik no script img

SanssouciNachschlag

■ Bildnisse am Alex: Kunst kennt keine Behinderung

Ist das so? Kennt Kunst wirklich keine Behinderung? Die Dame, die die Eintrittskarten verkauft, sieht es gleich ein wenig anders: „Sie müssen sich schon einen Katalog kaufen, sonst können Sie das gar nicht richtig schätzen. Diese Bilder hier zum Beispiel sind nur mit dem Mund gemalt.“ Und prompt verengt sich der Blickwinkel – das Bild, eben noch als Fenster zur Welt wahrgenommen, reduziert sich aufs Handwerkliche. Ein Staunen (mit dem Mund, wirklich?), ein genaues Hinsehen (da müssen sich doch irgendwelche Schludrigkeiten eingeschlichen haben ...) und dann eben doch so etwas wie beeindrucktes Mitleid (... also dafür, daß das mit dem Mund gemalt ist – Respekt!): Genau dieser Blick, der eine Ausstellung von Kunst behinderter Menschen zu einer Betroffenenshow vor allem der Betrachter macht, bleibt zum Glück sonst aus – keine erläuternden Schildchen neben jedem Werk zu Art und Schwere der Behinderung, nur Name, Titel, Signatur. Ganz normal.

Oder eben doch nicht: Denn die Behinderung als ein offen Spezifisches wegzuleugnen wie im Titel, zeugt von einem Willen zur Normalität der Macher. Es ist aber ja gerade die Erfahrung der Ausgrenzung und Vereinzelung, das Anderssein, das die meisten behinderten Künstler etwas schaffen läßt. Und dies eint schließlich auch die Ausstellung. So fehlt eher der konzeptionelle Mut, das Besondere, die Behinderung gegen die Normalität zu stellen und die „Schwäche“ jenes „Andersseins“ zu einer Stärke zu machen.

In kürzester Zeit durchläuft man fast alle Epochen der Kunstgeschichte im Ausstellungszentrum am Fernsehturm. Sicherlich ist manches kitschig, Rembrandtsche Stilleben (Kerze, Apfel, Dämmerlicht) hängen neben Monetschen Seelandschaften und Munchschen Selbstbildnissen. Aber dann sind die Dinge wieder irgendwie verfremdet, mitunter schemenhaft, nicht klar umrissen. Oft verzweifelte Porträts, dann wieder völlig abgefahrene Abstraktionswirrnisse und manchmal Idyllen von Zweisamkeit zwischen Bauernhäusern und Sonnenaufgängen. Volker Weidermann

Bis 7.8., 10-19 Uhr, Ausstellungszentrum am Fernsehturm, Mitte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen