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■ Zur modischen Ausbeutung:Schrittverstärkt und doppelt gesichert

Ein Rundgang im Fachgeschäft offenbart die Charakteristika der Berufkleidung für Arbeiter und Dienstleistende: durchweg zeitlos, praktisch, strapazierfähig, und, erstaunlicherweise, meist mit hohem Polyesteranteil. Einfach „dankbar“ ist der Arbeitsdress, und gar nicht mal so teuer, sieht man vom Originalanzug mit Hut für „wanderfahrende“ Zimmerer ab, der unter 1.000 Mark nicht zu haben ist.

Taschenreich, tarnfarben und derb die Kleidung für den Arbeiter, die Malerhose im Schritt mit Lederverstärkung, ihre Gesäßnähte mit reißfestem Spezialband doppelt genäht und gesichert. Spezialausrüstungen sind leuchtfarben, säureresistent, passende Accessoires bieten Atem-, Gehör- und Augenschutz.

Reizlos dezent ist auch die arbeitende Frau geschürzt, was zwar unliebsame Übergriffe männlicher Kollegen oft nicht verhindert, die Schürze jedoch gegen die Übernahme in modische Kollektionen immunisiert. Auch hier sind nur selten Fashiontrends in der Berufskleidung zu entdecken. Bei „John Glet“ am Mehringdamm fallen der Verkäuferin als Neuerungen der letzten zehn Jahre nur die Kasacks, also die halblangen Schürzen der Krankenschwestern und Arzthelferinnen, als modische Errungenschaften ein. Hin und wieder sind blaßbunt gestreifte Blenden als Farbtupfer im kochfesten Einheitsweiß zu entdecken. Das Rot, Blau und Grün für Verkäuferinnen indes ist so satt wie fad. Doch der Fachkatalog baut schließlich auch auf die persönlichen Werte der Fachkräfte: „Mit Charme und Schürze wird jeder Service zum Vergnügen.“

Wesentliche Erweiterungen gibt es nur im Sicherheitsschuhwerk mit integrierter Eisenkappe. Nicht nur die Modelle haben sich, zwar bei gleichbleibend schlichter Gestaltung, für Damen wie Herren um ein Vielfaches vermehrt, auch die Paßformen variieren heute. Drei verschiedene Weiten sollen Blasen und Druckstellen am Fuß vermeiden.

Diese Kleidung spricht Klartext: Arbeit ist nicht zum Vergnügen da, folglich funktioniert das Schnittmuster nach den Maßstäben quadratisch, praktisch, gut. Zugegeben, das macht für die Alltagskleidung ebenfalls einen gewissen Sinn. Via Film und Idole, mit einem Hauch Sozialromantik und der Sehnsucht nach dem kraftvoll Zupackenden reihten sich ein paar besondere Kleidungsstücke unverzichtbar in die Schränke der Allgemeinheit ein. Doch mit dem Evergreen Jeans, den inzwischen wieder regenerierten Latzhosen, dem Fischer- und Holzfällerhemd, vielleicht auch den in gewissen Kreisen beliebten Zimmerer-, Metzger- oder Bäckerhosen (nur ein Stichwort: Lyle Lovett in Altmans „Short Cuts“: Zucker!) scheint die Arbeiterklasse modisch vollständig ausgebeutet zu sein. Denn wirklich kult- und hitverdächtig ist die Kleidung aus dem Arbeitsalltag und dem Dienstleistungsgewerbe kaum. Ihre Fertigung ist so schmucklos wie billig, das Besondere liegt höchstens in der (Sicherheits-)Norm...

Aber halt – vielleicht lohnt sich gerade hier ein zweiter Blick: der Amüsierbetrieb braucht schließlich den asketischen Kontrapunkt, um nicht am eignen Vergnügen zu ersticken. Die harte Techno-Generation hat es mit den Bundeswehr-Gebirgstarnungsanzügen vorgemacht, vielleicht läßt sich nach diesem Strickmuster auch die Allmacht der Polizei und der BVG zitatweise dem Körper aneignen.

Im Verschwinden begriffen, könnte – frei kombinierbar – auch das schweißtreibende Handwerk noch modische Zeichen setzen. Metzgerschürzen aus Plastik oder Stoff, vereint getragen mit Priestertalaren oder dem Outfit der Götter in Weiß. Dazwischen ein modisches Nichts oder einfach nur Haut. Zimmerercord kombiniert mit Müllersmützen, Lack oder Leder. Der letzte Schrei: Bauernjoppen in harmonischem Gleichklang mit Mönchskutten im Rupfendesign. Der freche Antischick für die Frau schreibt Schwesternhäubchen zum Maleranzug vor... Marlboro, da geht's lang! peb

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