: Stop Making Common Sense
In der Aufsatzsammlung „Harte Zeiten“ erweist sich Wolfgang Pohrt erneut als treffsicherer Polemiker ■ Von Wiglaf Droste
Glaubt man den Anzeigen, die sein Verleger Klaus Bittermann schaltet, ist Wolfgang Pohrt „der meistgehaßte Autor Deutschlands“. Dabei haben weder Pohrt noch Bittermann diese PR-Prahlerei nötig oder verdient: Erstens paßt dergleichen Gedröhne viel besser zum Haffmans Verlag (der unter anderem Eckhard Henscheid als „Haffmans Herbst- Hammer“ ankündigte), und zweitens wurde Pohrts neues Buch „Harte Zeiten“ nicht wenig gelobt: zum Beispiel in der Frankfurter Rundschau, in der Jungen Welt, im Tip und sogar in einem Schweizer Blatt mit dem nahezu unschlagbaren Namen Berner Tagwacht. Und jetzt eben, weil Reinhard Mohr heute zuhause bleiben muß, auch hier, in der taz.
Bittermanns Eindruck, sein Autor werde von journalistischen Mietlingen und Schreibknechten als Fußabstreifer benutzt, an dem man per Verriß die eigene gut deutschnationale Mitmachbereitschaft demonstriert, rührt von zwei schäumenden Rezensionen her: Das Berliner Lokalblatt Tagesspiegel mutmaßte argumentfrei, Pohrt sei schlicht „irrsinnig geworden“. Und die FAZ druckte eine Besprechung, die ausgerechnet Pohrt Stammtischgeschrei und Herrenreitertum bescheinigen wollte und insgesamt so ahnungslos, zwangsoriginell und knüppeldumm war, daß die Autorin demnächst sicherlich in der Emma auftauchen wird: „So muß die Vorhölle aussehen: ein fensterloses Gelaß, erleuchtet von einer nackten Glühbirne. Zigarettenqualm. Und nichts zu lesen, außer den Schriften von Wolfgang Pohrt.“
Die Gestapo-Phantasien dieser Rezensentin sind eine Sache; Pohrts Essays eine andere. „Harte Zeiten“ ist ein Geschichtsbuch der Jahre 1992 und 1993. Die Themen sind bekannt, und viel schwächere Autoren haben schon fast dafür gesorgt, daß man ihrer überdrüssig wurde. Bei Pohrt aber lohnt es sich, über die versuchten oder vollstreckten Nazimorde von Rostock, Solingen und Mölln zu lesen, über die linksalternative Sorte Blutrünstigkeit, die der Krieg im ehemaligen Jugoslawien zutage brachte; ja, sogar ein Beitrag zur nichtsnutzigen Türcke-/Rassismus-Debatte in Konkret ist noch ein gedanklicher Gewinn und ein grimmiger Spaß, weil er eben von Pohrt ist.
Denn im Gegensatz zum Gros seiner Kollegen ist Wolfgang Pohrt kein Kollaborateur; er würde wohl eher einen Freund – wenn er denn noch einen hat – in die Wüste schicken, als sich einmal zuviel beziehungsweise an falscher Stelle mit jemand einig zu sein. In einem Kulturbetrieb, der zu 98,473 Prozent aus Kunglern besteht, die stets mit voller Überzeugung die Sau reiten, die gerade durchs Dorf getrieben wird, ist allein schon Pohrts Haltung, sein Beharren auf Unabhängigkeit wohltuend, seine Weigerung, die branchenübliche Verwechslung von Journalismus mit Lobbyismus mitzumachen. Doch erschöpft sich Pohrt, auch wenn er zuweilen arg rechthaberisch erscheint und gar niemand die Butter auf dem Brot oder einen klugen Gedanken gönnen oder zugestehen will, nicht in rebellischen Gesten, wie man sie etwa von den auf kritisch frisierten Ochsenfröschen und Berufsopportunisten Biermann und Broder kennt – um hier nur die beiden derzeit penetrantesten zu nennen. Erfreulicher noch als seine Sturheit und als seine punktgenaue, geschliffene Formulierungskunst ist die Tiefe und Schärfe seiner Gedanken (obwohl das ja ohnehin alles drei zusammengehört). Wo andere, weil es kopfmäßig hinten und vorn nicht reicht, ins Moralisieren geraten, pathetisch werden, behaupten, alles sei sehr kompliziert, heutzutage stimme eben nichts mehr, man müsse gerade jetzt ungeheuer differenzieren usw. oder sonstwie wolkig oder feuilletonistisch werden, bleiben bei Pohrt Kopf und Sprache klar. Über die gleichermaßen blödsinnige wie überall wiedergekäute Behauptung, Kritik von Deutschen an Deutschen sei a) „typisch deutsch“ und b) „rassistisch“ z.B. schreibt er: „Das alte Spiel: Wenn irgend so ein Legastheniker sich mit Goethe verbunden glaubt, dann ist das seine nationale Identität. Aber wenn ich ihn mit Hitler in Verbindung bringe, dann bin ich ein Rassist.“
Beim Anblick der eigenen Landsleute wird Pohrt nicht sentimental, wie das derzeit auch bei Leuten üblich ist, die sich bezeichnenderweise selbst „Ex-Linke“ oder, igitt!, „Querdenker“ nennen; Pohrt schreibt den Mordbrennern keine Entschuldigung, als hätten sie bloß ein paar Faxen gemacht. Lieber betrachtet er sie als das, was sie (ihm) sind: Fremde, Lichtjahre entfernt. Und wie könnte man die Deutschen auch anders bekucken als ethno- oder zoologisch? Pohrt attestiert ihnen „eine erstaunliche Mischung aus Realitätsverlust, Larmoyanz und Frechheit“ und fährt fort: „Es ist reichlich unverschämt, wenn die Deutschen sich über die Schärfe der Kritik an ihnen beschweren. Wundern müßten sie sich, daß sie überhaupt existieren dürfen.“ Patschpatsch, mit der Kasperklatsche auf den Volkskopf. (Den muß es ja, da es den „Volkskörper“ gibt, auch geben. Oder?)
Glanzstück des Buches ist der Vortrag „Helden und Intellektuelle“, den Pohrt am 16.1.1994 auf einem Symposium über Hannah Arendt in Wien hielt. Er schreibt u.a.: „Werfen wir nun einen Blick in den Spiegel, betrachten wir die Intellektuellen. Zwanzig Jahre pflegen sie aufopfernd ihre Sorgen, zwanzig Jahre lang lamentieren sie: Engagieren, kritisieren, solidarisieren, radikalisieren, Widerstand leisten, das Übel an der Wurzel fassen, den Anfängen wehren, niemals Auschwitz vergessen. So martern sie einander in offenen Briefen und geschlossenen Veranstaltungen, bei der Abschlußkundgebung und in der Podiumsdiskussion. Dann tauchen rechtsradikale Schlägerbanden auf, grölen ,Deutschland den Deutschen‘, heben den Arm zum Hitlergruß, zünden Asylbewerberheime an, prügeln Ausländer zu Krüppeln, bringen Farbige auf offener Straße um, werden von der Bevölkerung bejubelt, von der Polizei laufengelassen, von der Justiz freigesprochen. Das geschieht nicht ein paar Mal, sondern seit der Wiedervereinigung und bis zum Urteil im Mölln- Prozeß Anfang Dezember 1993 dauernd. Hören wir wieder die Intellektuellen: Gelassenheit zeigen, Ruhe bewahren, Verständnis aufbringen, die Ursachen erforschen, Pauschalurteile zurückweisen, Übertreibungen vermeiden, um Differenzierung bemüht sein, den Dialog suchen, Konflikte entschärfen, keinen ausgrenzen, mehr Zuwendung schenken, die Betreuung verbessern, die soziale Lage bedenken, familiäre Probleme nicht vergessen.“
Schöner und genauer wurde selten beschrieben, was eine Gesinnung von der Stange wert ist: keinen Pfifferling. Die Autoren z.B. des jüngst erschienenen Kursbuch 116, in dem sich Konformisten und Anbiederer in peinlichstem Selbstlob allesamt bestätigen, was für tollklasse Verräter, natürlich im Sinne von Aufklärung, geistigem Fortschritt der Menschheit und alles, sie sind, müßte man zwingen, Pohrts Buch auswendig zu lernen oder hundertmal abzuschreiben. Und es anschließend aufzuessen.
Von Wolfgang Pohrt kann man sich nur wünschen, daß er die Welt nicht mehr nur noch durch die FAZ und die Stuttgarter Zeitung wahrnimmt, daß er wieder für Zeitungen und Zeitschriften schreibt, daß er dem Namen seines Verlegers Bittermann (der auch noch in der Grimmstraße wohnt), nicht ähnlich wird, und daß er nicht aus der Defensive, sondern aus dem vollen Saft heraus diesem Land und seinen bekloppten Insassen wenigstens einen, seinen Geist einhaucht. Und daß er glücklich ist. Denn ein gutes Leben ist die beste Rache.
Wolfgang Pohrt: „Harte Zeiten. Neues vom Dauerzustand – Ein Schlußbericht“, Edition Tiamat, Verlag Klaus Bittermann, 208 Seiten, Paperback, 28 DM
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