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■ Das Sommerloch treibt Presseagenturen zur HöchstformRollmops auf der Autobahn

Berlin (taz) – Jedes Jahr, wenn auf dem Nachrichtenmarkt eine sommerlochbedingte Flaute herrscht, laufen die Presseagenturen zu poetischer Höchstform auf. Kein Thema ist zu abgedroschen, als daß es nicht mit perverser Energie zu einer Meldung aufbereitet werden könnte. Besonders beliebt sind Tiergeschichten aller Art. Der Kaiman im Badesee bei Dormagen war ein Glücksfall, aber auch kleinere Reptilien geben zuweilen eine Nachricht her: „Leichtes Spiel mit Lurchi“, hieß es bei Associated Press (AP) über einen Leoparden- Gecko, der von einer Polizeistreife auf einer Hauptverkehrsstraße entdeckt worden war. „Nach erkennungsdienstlicher Behandlung auf Zelluloid gab's für Lurchi Brotzeit in Form von fetten Stubenfliegen“, dumpfbackte die Agentur.

Offenbar fahren Tiere gerne im Polizeiauto – oder ist den AP-Journalisten die Phantasie durchgegangen? Am selben Tag hieß es über ein Seehundbaby: „Heuler fuhr im Streifenwagen zum Zoo.“ Dem wollten die Kollegen von der Deutschen Presse-Agentur (DPA) nicht nachstehen: „Rollmops auf der Autobahn: acht Kilometer Stau.“ Wahrscheinlich hat der Rundfisch den vierten Gang nicht gefunden. Aber auch in freier Natur geht bei Tieren – und Presseagenturen – so manches schief. „Dackel im Pech“, vermeldete AP vor zwei Wochen. Der Hund mußte erst von der Feuerwehr aus einem Kaninchenbau befreit werden, nur einen Tag später „verschwand das Tier bei einem Besuch in einer Gaststätte spurlos“. Wenn ihm das Geld ausgeht, wird der Dackel seine Zechtour vermutlich abbrechen und wieder auftauchen. Viel schlimmer erging es seinen gefiederten Kollegen: „Bis zu 175.000 Masthähnchen starben Hitzetod“, lamentierte Agence France Press (AFP). Das passiert im „Wienerwald“ wohl täglich.

Dumme Diebe treten im Sommerloch offenbar ebenfalls gehäuft auf: „Poststelle in Turnhose überfallen – keine Beute“, betitelte AP die Geschichte über einen Räuber, der „witterungsgerecht nur mit T-Shirt, Turnhose und Strumpfmaske bekleidet“ war. Was an einer Strumpfmaske witterungsgerecht sein soll, verrät die Agentur freilich nicht. Der Autodieb, über den die Kollegen von dpa berichteten, war gleich völlig nackt. Er verursachte mehrere Unfälle, streifte eine Leitplanke und überfuhr beinahe einen Polizisten. „Die Polizei konnte ihn nicht mal am Schlafittchen packen“, kalauerte die Agentur.

Manchmal fallen auch die letzten Grenzen, die normalerweise von der Intelligenz gesetzt werden. „Selbst eine stinkende Soldatensocke war in der DDR eine vertrauliche Dienstsache“, deliriert eine dpa-Schreiberin. Ihr Kollege informiert: „Blau und prall: Die Zwetschge hat wieder Saison.“ Und ein anderer dpa-Mensch ließ der Häme freien Lauf: „Von seinen 17 Frauen verlassen – Polygamist nahm sich das Leben.“ Die Frauen haben sich abgesetzt, so vermutet der schreibende Spanner, weil der von dem 76jährigen „zur Potenzsteigerung eingenommene Kräuterextrakt immer öfter ohne Wirkung blieb“. Vollends sommerlöchrig wird es bei AP: „Es kann ein Rauschen sein, es kann brummen, klingeln oder piepsen“, so fachsimpelt der AP-Mitarbeiter. Nein, er beschreibt nicht die Folgen übermäßiger Lektüre von Agenturmeldungen, sondern die „chronisch-komplexe Tinnitus“ – auf deutsch: Ohrgeräusche, die den Ohrbesitzer zur Verzweiflung treiben. Bei anderen reicht da schon das Wetter: „Deutscher verlor in der Hitze die Nerven: Zitternd am Straßenrand.“ Genauso ergeht es den LeserInnen, denen die Ergüsse durchgeknallter Agentur-JournalistInnen zum Frühstück serviert werden. Ralf Sotscheck

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