: Stadtstreicher-Risiko
■ Jugendliche schlugen zweimal in der Nacht zu / Polizei berichtet darüber normalerweise nicht
Purer Zufall war es, daß eine Bremerin gestern in der Stadt mit einem Wohnungslosen ins Gespräch kam, der deutlich sichtbare Verletzungen im Gesicht und an der Hand auswies. „Der Mann war in keiner Weise alkoholisiert und sah auch sonst nicht so aus, als würde er Aggressionen auf sich ziehen – eher ein ganz ruhiger Weltenbummler“, resumiert die Frau ihren Eindruck. Zu den Verletzungen befragt, erzählte ihr der 40-50jährige, er sei am Dienstagmorgen gegen drei Uhr von vier Jugendlichen in der Sögestraße zusammengeschlagen worden. Nachdem sich die Täter in Richtung Bahnhof entfernt hatten, seien sie noch einmal umgekehrt, hätten ihm die Geldbörse geklaut, in der sich nur wenige Groschen befanden, und schlugen abermals zu. Er habe dennoch flüchten können und sei in der Obernstraße auf eine Polizeistreife gestoßen.
Ob diese die Täter verfolgte, läßt sich nicht rekonstruieren. In den Einsatzprotokollen der Polizei nämlich ist der Vorfall überhaupt nicht vermerkt. Pressesprecher Sebastian Kappner hat lediglich „eine ähnliche Geschichte“ parat: Gegen halb zwei fand die Polizei in der Gröpelinger Heerstraße einen 33jährigen „mittelgradig alkoholisierten“ Obdachlosen auf, der ebenfalls von einer Gruppe Jugendlicher zusammengeschlagen und seiner Geldbörse beraubt worden war. Der Überfallene mußte im Krankenhaus ambulant behandelt werden.
Identisch kann der Fall nicht sein, denn der Mann, den die Bremerin traf, hatte sich eigenen Angaben zufolge noch nicht im Krankenhaus behandeln lassen. Auch eine Anzeige wollte er sich vorbehalten, was allerdings für das Eingreifen der Polizei nicht von Belang ist. Sie ist, Anzeige hin oder her, verpflichtet zu ermitteln, sobald ihr ein solcher Vorfall gemeldet wird. Warum dieser in den Einsatzprotokollen nicht erwähnt wird, kann Sebastian Kappner nicht erklären. Klar ist ihm dagegen, warum auch der Gröpelinger Überfall im täglichen Polizeipressebericht fehlt: „Wir wählen da immer aus.“ Solche Geschichten würden in diesem Milieu, zumal wenn Alkohol im Spiel sei und es um Raub gehe, oftmals erfunden. „Wir geben nur weiter, was wir einigermaßen rund machen können.“ Werden denn, ohne daß die Öffentlichkeit etwas davon erfährt, in letzter Zeit häufiger obdachlose Menschen überfallen? „Nein“, winkt Kappner ab, „das kann jedem mal passieren. Da ist auch mal ein Stadtstreicher das Opfer.“ dah
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