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Penis, Exzem und Udo Jürgens

■ Das Hamburger Panoptikum. Reportage eines leidenden tazlers Von Tammo Löffler

Es ist Mittag. Die Sonne brennt unbarmherzig auf den Kopf. Die Hitze drückt. Auf der Reeperbahn ist es nicht auszuhalten. Doch da, hinter einer unscheinbaren Tür, naht scheinbar Rettung: Das kühlende Halbdunkel des Panoptikums suggeriert ein Eintauchen in eiskaltes Wasser.

Nachdem die Augen sich an das schummrige Licht gewöhnt haben, erscheint eine Installation von aristokratischen Wachsfiguren: der italienische König Victor Emanuel der III. sitzt am weißen Kaffeehaus-Tischchen, Christian der X, König von Dänemark und König Gustav, der olle Schwede, stehen dekorativ davor. Die Plastik-Palme komplettiert das Ensemble. Doch sie trinken keinen Kaffee, sondern Whiskey – Osborne, um genau zu sein. Dies hinterläßt einen flüchtigen Eindruck von tropischer Frische.

Neugierig und auf der Suche nach richtiger Kälte, taucht man tiefer ein in das Museum der vorgeblichen High Society. Mit gewinnendem Blick steht Hans Albers, die Kapitänsmütze fehlt natürlich nicht, an der Reeling – obwohl die Zahnreihen geschlossen bleiben, scheint es, als habe der ewige Seebär gerade einen seiner Waterkantgesänge zufrieden beendet. Daneben bewacht Heinz Rühmann grinsend die Großmütter der Nation: Inge Meysel, farblos wie immer, während Heidi Kabel ein Seidenkleid trägt, das von ihr selbst gestiftet worden ist. So sitzen sie einträchtig auf einer Parkbank.

Soweit nichts Neues. Ob's wenigstens in den Gemäuern des Untergeschosses etwas gruselt? Aber nein – hier wird man empfangen von so betulichen alten Film- und Schlagergrößen wie Peter Alexander, Udo Jürgens und Hans-Joachim Kulenkampff.

Kurz vor'm Wegschnarchen, und der Plattheit schon überdrüssig, wird es naturwissenschaftlich: Das medizinisch-historische Kabinett, traditionell in jedem Panoptikum zu finden, bietet einen kleinen Penis (sechs Zentimeter!) mit Tripper. Vom schlaff hängenden Johannes – Sie wissen, die Nase! – tropft eine gelb-grünliche Flüssigkeit als Zeichen des Befalls. Auch sehr nett dargeboten werden die gemeine, braun-rötliche Schuppenflechte und die aufbrechenden Ekzeme an der menschlichen Hand – im Endstadium!

Welche Akribie und Hingabe die Produktion der Ausstellungsstücke doch erfordern muß. „Eine Hamburger Bildhauerin modelliert anhand von Fotos und Videos ein Tonmodell, das vergipst wird. Die Gipsschale wird dann mit Wachs ausgegossen und schon hat man das fertige Stück“, erklärt Beate Faerber, Leiterin des Panoptikums. So werden alle sichtbaren Teile hergestellt. Die Körper der Figuren bestehen aus Styropor. Die Köpfe werden noch mit Augen, Wimpern und Haaren bestückt und dann geschminkt. Bekleidet werden die Figuren entweder mit Sachen aus dem Theaterfundus „oder einfach mit Anzügen von der Stange“, verrät Faerber.

Auf dem Weg vom Untergeschoß in den ersten Stock erwischt man Kohl und Genscher im Separée – beim Saumagenessen. Muß man Genschman diese Geschmackverirrung antun? In der ersten Etage angekommen, kommt es noch schlimmer: Uwe Seeler ist viel zu dünn geraten, denn auch in jungen Jahren war der Fußballgott schon feist. Der rote Original-Trainingsanzug von 1966 schlabbert demzufolge an ihm herab. Doch die 66er Weltmeisterschaft ist Geschichte.

87 Jahre zuvor, anno 1879, wurde das Panoptikum von dem Bildhauer Friedrich-Hermann Faerber gegründet. Noch heute befindet es sich in Familienbesitz, Beate Faerber heiratete Fritzens Urenkel.

„Vor dem zweiten Weltkrieg hatten wir über 300 Figuren“, erzählt sie stolz.

1943 wurde das Gebäude an der Reeperbahn und die meisten Wachspuppen durch einen Bombenangriff zerstört. Der Wiederaufbau dauerte bis Ende der 50er Jahre. Heute sind circa 100 Ausstellungsstücke zu sehen. Die Puppen, deren Wirkung blaß bleibt, weisen immerhin leichte Ähnlichkeiten zu ihren natürlichen Pendants auf. Trotzdem wagen rund 150.000 BesucherInnen pro Jahr den drögen Rundgang.

Das oberste Stockwerk ist selbst Beate Faerber zu langweilig. Deshalb möchte sie in die fade Gruppe von Goethe, Schiller und Wagner noch Albert Einstein stellen, „zur Auflockerung“, wie sie sagt.

Ob das reicht, um die müden Päpste, stark antiquierten Könige und die grau-braunen Nazi-Größen im zweiten Stock aufregender zu machen? Denn spätestens hier ist das Publikum sanft und leise in den Schlaf geglitten. Wahrscheinlich träumt es von der heißen - aber klimatisierten - Atmosphäre der Reeperbahn.

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