: Jemens Islamisten sind die wahren Kriegsgewinner
■ Einen Monat nachdem die nordjemenitischen Truppen in Aden einmarschiert sind, wird über die zukünftige Rolle der südjemenitischen Sozialisten gerätselt
Kairo (taz) – Als der nordjemenitische Präsident Ali Abdallah al- Salih am Donnerstag mit einem Troß von Militärs in der südlichen Hauptstadt Aden einzog, jubelten ihm Hunderte Menschen zu. JemenitInnen, die Bilder al-Salihs in den Händen trugen, versicherten ihm demonstrativ ihre Loyalität. Auf den vier Wochen nach dem Einmarsch der nordjemenitischen Truppen vom (nord)jemenitischen Fernsehen ausgestrahlten Bildern war nicht zu sehen, was Mitarbeiter des Roten Kreuzes vor Ort bestätigen: In Aden ist Cholera ausgebrochen. Auch von den Plünderungen, die nordjemenitische Soldaten in der Stadt begangen haben sollen, berichtete das Fernsehen nicht. Offensichtlich war Aden für den Einzug des Siegers al-Salih gesäubert und waren Claqueure bestellt worden.
Durch den militärischen Sieg des Nordens über den abtrünnigen Süden hat sich das innerjemenitische Kräfteverhältnis radikal verändert. Vor dem Krieg wurde das Land von einer Dreiparteienkoalition regiert. Sie bestand aus al-Salihs „Volkskongreß“, der aus dem Norden stammenden islamistischen Reformpartei (Islah) und den südlichen Sozialisten.
UN-Unterhändler Lahdar al- Ibrahimi versuchte in der vergangenen Woche in Genf Verhandlungen zwischen den Sozialisten und den nördlichen Parteien zu vermitteln. Die Kontakte blieben jedoch erfolglos. Die nordjemenitische Führung weigerte sich, das Genfer Treffen überhaupt als „Gespräch“ anzuerkennen.
Die Führung in Sanaa weist weiterhin jegliche Einmischung von außen zurück. Von den Sozialisten fordert sie eine Verurteilung der von ihnen Ende Mai im Süden ausgerufenen „Demokratischen Republik Jemen“. Ob und wann die für die Ausrufung verantwortlichen politischen und militärischen Kader der sozialistischen Partei wieder in den Jemen zurückkehren werden, ist derzeit das zentrale Thema.
Noch zeigen sich die Gewinner des Bürgerkriegs unerbittlich. Vergangenen Sonntag schloß Salih 16 sozialistische Führungsmitglieder von einer zuvor verkündeten allgemeinen Amnestie aus. Die 16, unter ihnen der Chef der Sozialisten, Ali al-Bid, werden von der nördlichen Führung für die Spaltung des Landes verantwortlich gemacht. Sie sollen, so Salih in einer Rede am Sonntag, als Kriegsverbrecher abgeurteilt werden.
Hinter den Kulissen ist die Politik der Sieger nicht so klar umrissen. Politiker wie der nordjemenitische Chefunterhändler bei den UN-Gesprächen, al-Iriani, hoffen, daß mit einer Rückkehr der gesamten sozialistischen Führung auch die Tür für Einmischung von außen geschlossen würde. Die Sozialisten ihrerseits zeigen sich reserviert. „Wenn wir die Abspaltung verurteilen sollen, dann müssen wir auch den Bürgerkrieg verurteilen und diejenigen, die ihn angefangen haben“, meinte ein führendes Mitglied der Sozialisten gegenüber der arabischen Zeitung Al-Hayat in Anspielung auf die Tatsache, daß der Norden den bewaffneten Konflikt begonnen hatte.
Vor allem die Islah fordert ein hartes Vorgehen gegen die Sozialisten. Die Islamisten gelten als die eigentlichen Sieger des Krieges. In der alten Regierungskoalition mußten sie den dritten Platz einnehmen. Nun stehen sie dem Volkskongreß als einziger Partner zur Seite. Beide konservativen Parteien scheinen sich hervorragend zu ergänzen. Die Islamisten liefern Salih die Ideologie, die seinem Volkskongreß – einem Sammelsurium verschiedener Interessengruppen – fehlt. In Siegerpose lehnen die Islamisten ein Treffen mit den „aufständischen Sozialisten“ ab. Der Chef des radikalen Islah–Flügels, Scheich Abdel Meguid Zindani, läßt keine Gelegenheit aus, die Sozialisten als „Ungläubige“ zu geißeln. Moderatere Kreise in seiner Partei können sich zwar eine Rückkehr der Sozialisten in die politische Landschaft Jemens vorstellen, deren Teilnahme an einer künftigen Regierungskoalition lehnen sie aber entschieden ab.
Die Sozialisten ihrerseits begannen inzwischen über die Erneuerung ihrer Partei, möglicherweise unter einem anderen Namen, zu debattieren. Die Rede ist von einem vierten Parteikongreß. Über den Zeitpunkt für dessen Abhaltung herrscht allerdings noch Uneinigkeit. Einige Mitglieder wollen den Kongreß so schnell wie möglich veranstalten. Andere wollen lieber abwarten, bis sich die Situation im Süden normalisiert hat. Ob sich die Jemeniten auf einen völligen politischen Neuanfang einigen können oder ob das Land in Zukunft nach dem Schema Gewinner und Verlierer regiert wird, davon wird viel für die zukünftige Stabilität des Landes abhängen. Nächsten Monat soll in Sanaa die neue Regierung gebildet werden. Karim El-Gawhary
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