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Wie komme ich an die Autonomen ran?

■ Ein von der letzten eigenen Laufeinheit gut erholter Uli Maslo stellte sich den Fragen der taz

Veränderung beginnt mit Opposition, sagt die PDS. Die Verantwortlichen des FC St. Pauli kontern: Veränderung beginnt mit Uli Maslo. Am Morgen nach dem 1:2 gegen Everton-1:2-sprach die taz mit dem Mann, der am Millerntor die spieltaktische Revolution einleiten möchte. Neben ausführlichen Erläuterungen zur neuen Deckungsvariante fand Maslo noch Zeit für Medienschelte.

taz: Herr Maslo, würden Sie uns wohl die Vorteile der Viererabwehrkette erklären?

Uli Maslo: Wir richten uns ganz wenig nach dem Gegner. Uns kann keiner überraschen, egal, ob er mit einer oder mehr Spitzen spielt. Wir kontrollieren das Spielgeschehen und bestimmen, was passiert.

Sie spielen nicht mit der reinen Abwehrkette, eher Ihre Variante.

Sie Journalisten müssen sich besser informieren. Italien spielt genau dasselbe mit Baresi und Costacurta. Mir hängt es eigentlich schon zum Halse raus, immer diese Namen zu nennen. Der Baresi wird ja der beste Libero der Welt genannt, also spielt er auch Libero. Er ist immer drei, vier Meter hinter dem Manndecker als Sicherung. Genauso machen wir das auch, nur auf einer Linie.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Sobald wir in Ballbesitz sind, schieben wir uns nach vorne. Wir haben nur einen Manndecker und dadurch einen zusätzlichen Mann für das Mittelfeld. So können wir mehr Druck machen. Ich möchte im übrigen wegkommen vom Terminus „Viererkette“, wir spielen 4-4-2.

Fürchten Sie nicht, daß bei der ersten Niederlage in einem Pflichtspiel das Trara richtig losgeht?

Kein System und sicherlich nicht das alte ist so stark, daß der Gegner keine Torchancen bekommt. Wenn wir ein Spiel verlieren sollten, lag es nicht am neuen System, sondern waren individuelle Fehler oder ein Glücksschuß. Aber ich sage nicht, was auch immer passiert, wir spielen es weiter. Ich muß von Mal zu Mal reagieren. Es ist nur eine Position zu verändern, um auf das alte System zurückzuschalten.

Sie haben gesagt, deutsche Abwehrspieler würden zu einseitig zum Manndecker hin erzogen.

Wir haben unser Abwehrverhalten nicht weiterentwickelt und das Mitdenken nicht eingeplant. Antizipation ist sehr wichtig, dieses Vorausahnen, was der Gegner macht. Immer nur dem Mann hinterherzulaufen, reicht nicht mehr aus. Ich habe nie viel von der Manndeckung gehalten, denn da bestimmt der Gegner, wohin ich laufe. Als Fußballehrer stehe ich in der Pflicht, Spieler weiterzuentwickeln, nicht nur als Trainer bei St. Pauli.

Kommt Ihnen da Ihre Tätigkeit als Sportlehrer zugute?

Es ist immer der Umgang mit Menschen. Mal sind es Schüler, mal erwachsene Spieler. Wenn man 22 Profis hat, sind jeden Tag 22 Probleme zu lösen. Menschenführung und Pädagogik sind dabei sehr wichtig.

Sie gelten als Schleifer.

Das ist völliger Quatsch. Ich weiß nicht, wie das in die Welt gekommen ist. Das paßt überhaupt nicht zu mir. Ich finde es unmöglich, wenn mich einer Schleifer nennt. Die Leute kennen mich überhaupt nicht.

Also kein harter Hund?

Im richtigen Moment muß der Spieler auch Kritik zu hören bekommen. Manchmal fällt das, ich will nicht sagen, zu hart aus, aber ich werde schon kritisch sein. Auf der anderen Seite lege ich viel Wert auf ein gutes Arbeitsklima. Ich lobe ebensooft, wie ich bestimmte Dinge bemängele. Beides gehört zum Spektrum eines Trainers.

Unter Eichkorn waren Zander und Schlindwein die Paten der Spielermafia, die die Mannschaft aufgestellt haben. Ist die Wahl von Carsten Pröpper zum neuen Kapitän eine Entmachtung von Schlindwein?

Keineswegs, damit hat das nichts zu tun. Sie haben Namen genannt und Dinge gesagt, die vorher abgelaufen sind. Ich bin hier am 18. Juli angefangen und mich interessiert nicht, was war, sondern nur, was von da an nach vorne gelaufen ist.

Eichkorn hat Schlindwein zum Kapitän bestimmt, die Mannschaft ihn jetzt nur zum Stellvertreter gewählt.

Ich fand es in dieser Situation richtig, den Kapitän wählen zu lassen. Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, ich sollte besser den Kapitän bestimmen, hätte ich das gemacht. Die Mannschaft möchte gerne durch Pröpper vertreten werden. Er ist demokratisch gewählt worden.

Sie kennen Mannschaft und Verein noch nicht sehr gut. Nicht unbedingt ein Vorteil.

Je mehr Informationen ich habe, desto besser. Es ist immer ein Nachteil, wenn man nicht alles weiß. Mit dem Wissensstand, den ich zur Zeit habe, glaube ich, gut zurecht zu kommen.

Die Fans waren für Sie ein Grund, ans Millerntor zu wechseln. Werden diese Sie nicht an Ihren Vorgängern messen, die auch Entertainer waren. Show zu machen liegt Ihnen jedoch fern.

Ich möchte, daß die Fans uns weiter unterstützen. Ich werde auf jeden Fall auf die Fans zugehen. Das gehört einfach zum Vereinsleben, dessen bin ich mir bewußt. Ein gutes Verhältnis zu den Fans ist ganz wichtig für meine Arbeit.

Wenn es sportlich nicht so gut laufen sollte, werden Sie aber nicht wie einst Helmut Schulte Bananen ins Publikum werfen, um abzulenken.

Ich sehe das nicht als Problem, wenn ein Trainer hier sachlich arbeiten will. Es könnte Schwierigkeiten geben, wenn sich zwischen Trainer und Fans eine Mauer aufbaut, aber nicht aufgrund der Arbeitsweise eines Mannes, der Erfolg haben möchte.

Wie wollen Sie neben den normalen Fans mit den Anhängern umgehen, die sich als politisch, vielleicht auch als autonom begreifen?

Wie komme ich an die ran? Sind die organisiert, haben diese Fangruppen einen Vorsitzenden oder Sprecher? Ich wäre schon interessiert, mit diesen Fans Kontakt aufzunehmen und bin bereit zu kooperieren, auch wenn unterschiedliche Interessen da sind.

Viele Fans sind noch immer sauer über die sehr lustlose Vorstellung der Mannschaft am letzten Spieltag in Wolfsburg.

So etwas geht natürlich nicht. Ich habe der Mannschaft gesagt, daß sie gegen Everton gut gespielt hat. Kampf, Disziplin und Ordnung sind aber nur die Basis. Ich möchteLeistung haben und der Fan kann das auch verlangen. Rauf und runter rennen ist nicht genug. Das gute Fußballspielen ist für mich die wirkliche Leistung.

Wohin werden die Leistungen St. Pauli führen?

Mein Ziel ist immer, alle Spiele zu gewinnen. Ich bin jedoch Realist, wir müssen aus den Spielertypen erst eine Mannschaft formen. Wenn ich weiß, wie stark wir sind, kann ich mir ein Ziel setzen. Dazu fehlen mir drei Wochen, die ich zu spät angefangen habe.

Erwartet die Öffentlichkeit nicht eine klare Aussage von Ihnen?

Nein. Die Fans, die mich ansprechen, sagen, sie wollen guten Fußball sehen und einen einstelligen Tabellenplatz. Es hat mir noch keiner gesagt, wir müßten aufsteigen.

Das sieht Präsident Heinz Weisener aber anders.

Nein. Er hat er nicht vom Aufstieg gesprochen. Es ist kein Druck vom Vorstand da. Den Aufstieg kann ich zur Zeit noch nicht anpeilen, weil ich noch nicht weiß, wie belastbar die Mannschaft genaus ist.

Wie belastbar ist sie denn ungefähr?

Wir haben uns im vorderen Bereich verstärkt (der polnische Nationalspieler Darek Szubert wurden verpflichtet, Martin Driller zurückgeholt, die Red.) und mit Rene Müller einen erfahrenen Torwart geholt. Dennoch bin ich noch lange nicht da, wo ich hin möchte.

Zwischen Eichkorn und Wähling gab es Kompetenzstreitigkeiten. Gibt es inzwischen eindeutig festgelegte Arbeitsbereiche von Trainer und Manager?

Bis jetzt noch nicht, aber Jürgen Wähling und ich sind erfahrene Leute in diesem Job und arbeiten gut zusammen. Ich sehe keine Schwierigkeiten. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Das war für alle Zeitungen hier genug Munition.

Herr Wähling akzeptiert Sie auch. Sie müssen nicht mehr beweisen, daß Sie ein erfahrener Trainer sind.

In diesem Job zählt einfach Erfahrung. Wenn irgendwelche Probleme auftauchen, weiß man, wie man gegensteuern muß.

Erfahrung alleine reicht?

Das ist ein deutsches Problem. Es gilt immer nur jung und dynamisch. Im Ausland hingegen wird als erstes gefragt, wo der Mann gearbeitet hat. Man kann auch dynamisch und erfahren sein. Ich vermisse, daß in Deutschland mal jemand etwas Neues macht. Das ist eigentlich ein bißchen wie Inzucht.

Verlangen die heutigen Spieler nicht einen ganz anderen Umgang?

Das hat sich sicherlich geändert. Die Spieler sind heute kritischer, dieser Schleiferton kommt nicht mehr an. Sie müssen mit der Mannschaft kooperieren, erklären und reden. Früher war es leichter, einfach zu bestimmen, heute muß man sich mit den Spielern auseinandersetzen.

Sie sitzen hier auf einem Schleuderstuhl. Ihre Vorgänger mußten allesamt vorzeitig gehen.

Man kann nicht zurückblicken, sondern fängt neu an und versucht, mit dem, was der Klub hergibt, das beste aus der Mannschaft zu machen. Ich will gar nicht wissen, was da vorher passiert ist. Ich versuche etwas Stabiles langfristig aufzubauen. Nicht mehr von der Hand in den Mund.

Die Vergangenheit ist also keine Belastung?

Natürlich nicht, das macht mir keine schlaflosen Nächte. Ich war vorher in Schalke und Dortmund, was meinen sie, was die für eine Vergangenheit hatten, auch an Trainerverschleiß. Diese Vereine sind von der Struktur her noch viel anfälliger für Trainerwechsel als St. Pauli. Ich habe hier einen sehr guten Präsidenten und ein gutes Umfeld. Die Mannschaft ist sehr willig.

Sie haben nur einen Einjahresvertrag.

Wir wollen uns rechtzeitig zusammensetzen und sehen, wie sich alles entwickelt hat. Beide Seiten wollen natürlich möglichst lange zusammenbleiben.

Solange wie am Arabischen Golf? Vor St. Pauli waren sie ja arbeitslos.

Das stimmt nicht. Da hat man schlecht recherchiert. Ich bin bis Frühjahr dieses Jahres am Arabischen Golf gewesen und dann nach Deutschland zurückgekehrt. Ich war zuhause, ein ganz normaler Sommerurlaub.

Sie waren nicht der Wunschkandidat, sondern Hannes Bongartz.

Da sind sie schlecht informiert.

Sie waren die definitive Nummer eins?

...

Herr Maslo, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Die Fragen stellten Clemens Gerlach und Jan Strahl.

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