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Wenn die Gondeln Chaos tragen

■ "Es geht um Privatisierung": Gespräch mit Bakhtiyar Khudojnazrow, dem tadschikischen Regisseur von "Kosh ba Kosh", einem Liebesfilm über den Schwebezustand der zerfallenen Sowjetunion. Bürgerkriegshelden ...

Über dem Chaos schwebt die Gondel. In der von den Wirren des Bürgerkriegs erfaßten tadschikischen Hauptstadt Duschanbe erzählt der Regisseur Bakhtiyar Khudojnazrow in „Kosh ba Kosh“ die Erlebnisse des Seilbahnführers Daler und der Studentin Mira, die von ihrem Vater beim Würfeln verspielt wurde.

taz: Ihr Film ist geprägt von der Spannung zwischen der fragilen Liebesgeschichte und dem Bürgerkrieg im Hintergrund. Stand der Krieg bereits im Drehbuch?

Bakhtiyar Khudojnazrow: Manche Leute hielten uns für Helden, die einen Film über den Bürgerkrieg drehen wollten. Dabei brach der Krieg einfach über uns herein. Eigentlich wollten wir ein filmisches Mosaik über Tadschikistan drehen, über die Leute, die Stadt Duschanbe, den Alltag. Dann kam der Krieg, und wir mußten den Drehort, die Dekoration, einfach alles ändern. Wir waren eine sehr junge Crew und beschlossen, uns dieser Erfahrung zu stellen, das Risiko auf uns zu nehmen. Beim Drehen hatten wir auch sehr viel Spaß, denn nur mit Humor kann man das alles überleben. Wenn man zu ernst ist, stirbt man an der Anspannung und dem Druck.

Inwiefern hat der Bürgerkrieg die Handlung Ihres Films direkt beeinflußt?

Ich benutze den Krieg als etwas Abstraktes, als einen Krieg, der überall stattfinden könnte. Ich wollte nicht konkretisieren, keinen sozialen oder politischen Film drehen. Ich sagte mir: O.k., der Krieg ist ein Katalysator für extreme Situationen, in denen Menschen ihre Würde behaupten müssen. Jeder Krieg ist primitive Blutrache. Ich spreche Bürgerkriegen jegliche ideologische oder ideelle Motivation ab. Es geht um Geld, Macht und was ich „Privatisierungskrieg“ nenne. Alle Bürgerkriege in der ehemaligen Sowjetunion sind Privatisierungskriege, in denen die Mafia eine mehr oder weniger große Rolle spielt.

Es gibt in Ihrem Film eine geheimnisvolle Figur. Einen alten Mann, der inmitten der Schießereien Witze reißt und tanzt. Er erinnert an die klassische Figur des Narren...

Ich brauche diese Figur als Verkörperung der Tradition, der Wurzeln meines Volkes. Man könnte sagen, daß sogar die Wurzeln verrückt geworden sind. Wenn der Alte inmitten von Maschinengewehrsalven und Helikoptergetöse einen aberwitzigen Tanz aufführt, wird der Film plötzlich geheimnisvoll. Außerdem ist er mit seinen Orden und Medaillen ein Spiegel der früheren Sowjetunion. Ich fand diese Periode nicht so schrecklich. Natürlich gab es viel Schlimmes, aber der Narr sagt uns, wir sollen uns auch an das Schöne in der Vergangenheit erinnern.

Ein archaisches Würfelspiel namens Boudjil spielt ebenfalls eine wichtige Rolle...

Das ist ein sehr altes Spiel. Man würfelt mit den Kniegelenkknochen des Hammels. Vor allem sehr reiche Leute spielen es. Sie sind völlig verrückt und verlieren dabei manchmal vom einen auf den andern Tag ihr gesamtes Vermögen.

Das Würfeln ist auch eine Art passiver Widerstand gegen den Krieg, eine sture Fortsetzung des Alltags...

Ja, es ist eine Form des Widerstands, so etwas wie: Ich will nicht am Krieg teilnehmen, sondern ich spiele mein Spiel. Natürlich könnte ich getötet werden, bin ich in Gefahr, aber ich bleibe passiv. Wenn nämlich der eine in den Krieg zieht, folgt der nächste. Dann der Vater, der Bruder, der Freund, ganze Dörfer und Städte. Es ist wie ein riesiges Feuer. Wenn man dem Feuer kein Öl, kein Holz mehr gibt, hört es auf. Die mit ihren Gefühlen nicht umgehen können, ziehen begeistert in den Krieg und lösen die Probleme auf einfachste Weise mit dem Maschinengewehr. Krieg machen kann jeder. Hingegen ist es viel komplizierter, zu leben. Etwas aufzubauen – und das bedeutet Leben – ist viel schwieriger. Ein kleines Denkmal von sich selbst zu bauen, darauf kommt's an. Ich meine kein protziges Denkmal, sondern irgend etwas, was bezeugt, daß man seine Zeit auf Erden nicht vertan hat. Das kann ein Kind, gute Arbeit, ein Gedicht, Musik oder sonstwas sein. Damit erst beweist man sich als menschliches Wesen.

Das Liebespaar in Ihrem Film verbringt seine Zeit in einer Seilbahn. Die beiden essen, schlafen, trinken, reden und lieben sich in der Gondel. Es liegt nahe, diesen Schwebezustand als Metapher des Verliebtseins zu sehen.

Für mich ist die Gondel auch ein paradoxes Symbol der Freiheit. Wer fliegt, ist frei. Aber man weiß, daß es am Anfang und Ende der Seilbahn einen Ort der Ankunft gibt. Nur mit dem Wissen um diesen Ort, wo die Verantwortung wieder einsetzt, kann man wirklich frei sein. Irgendwann läuft man dann wieder im einen oder anderen Hafen ein.

Zur Zeit wollen Sie in ihrem gegenwärtigen Hafen Berlin bleiben und hier Filme drehen.

Nein, ich würde gerne weitere Filme in meiner Heimat drehen, aber das ist sehr kompliziert, und zur Zeit bin ich wirklich erschöpft. Außerdem habe ich, sozusagen als Dissident der neuen Art, Schwierigkeiten. Früher flohen die Leute vor dem Kommunismus, jetzt flieht man vor den neuen Zuständen im Land, vor der ungezügelten Kriminalität, mit der ich nicht klarkomme. Zudem werden die Leute vom Kaukasus und aus Asien in Moskau diskriminiert, was schlimm ist, denn ich habe zwei Heimatstädte: Duschanbe und Moskau, wo ich an der Filmhochschule studiert habe. In Moskau kann ich nicht in Ruhe durch die Straßen gehen, ständig hält mich die Polizei wegen meines dunklen Aussehens an und fragt mich aus.

Haben Sie Hoffnung, daß sich die Zustände in Tadschikistan ändern?

Irgendwann müssen sie ja aufhören, sich gegenseitig umzubringen und mit der Mafia zu kungeln. Ja, ich habe Hoffnung. Sie können auch an meinem Film sehen, daß ich in dieser hoffnungslosen Situation die Hoffnung nicht aufgebe. Interview: Katja Nicodemus

„Kosh ba Kosh“. Regie und Buch: Bakhtiyar Khudojnazrow. Kamera: Georgy Dzalzier. Musik: Ahmad Bakaer. Mit: Paulina Galvez, Daler Madjidar, Alisher Kasimov u.a.

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