: Die auf die Pelle rücken
Sanft kräuselt sich das Brusthaartoupet bei den vier Solo-Performances von Jon Flynn, Bridge Markland, Jean Verdier und Gayle Tufts im Kabarett „Freunde der italienischen Oper“ ■ Von Miriam Hoffmeyer
Wenn vier Solo-Darsteller in einem einzigen Programm zusammentreffen, ist das ungefähr so, wie ein Kongreß aus Einsiedlern. Und wie jeder bessere Kongreß ist auch die Viererbande, die jetzt in „Freunde der Italienischen Oper“ auftritt, international besetzt: Jon Flynn kommt aus England, Bridge Markland aus Deutschland, Gayle Tufts aus den USA und Jean Verdier aus Frankreich. Das gibt den Zuschauern die Möglichkeit, an einem einzigen Abend einen Einblick in die Berliner Solo-Performance-Szene zu bekommen: Buy one – get three for free! Allerdings fiel die erkrankte Gayle Tufts bei der Premiere aus. Mutig besteigt Jon Flynn „Life's dirty, dirty bath“ in Gestalt einer alten Emaille-Sitzbadewanne. Selbst in dieser Position verströmt der 34jährige Künstler noch eine gewisse Anmut. Für den nötigen Glamour – das Stück besingt die Leiden eines Stars – sorgt ein meterhoher, silberner Tütenhut mit einem Posaunenengel an der Spitze. Die düstere Feierlichkeit von Flynns früheren Soloprogrammen ist passé. Jetzt sind die Texte zwar immer noch rätselhaft, aber eher spleenig als mystisch. „I fell in love with a revolutionary“, bekennt Flynn in „My Honey from Havanna“ überschwenglich – aber das machte damals nichts, es waren halt die „mid- seventies“. Ein original Freddy-Mercury-Brusthaartoupet darf bei diesem Lied natürlich nicht fehlen. Später lugt Flynn hilflos unter einem Altweiber-Häkelhut hervor, zieht eine klägliche Schnute und macht schwach wütend kleine Gesten mit der Hand. Alles ist gegen ihn: Kein Schwein ruft ihn an, Toaster und Waschmaschine sind hinüber und „the neighbours make love to a techno- techno-beat“. Am Ende kramt Flynn noch zwei ganz alte Stücke für die Fans aus – und wieder einmal intoniert das Publikum begeistert „ho ho“, während der einsame Seemann untergeht.
Bei Bridge Marklands Programm „Bridgeland“ dreht sich alles um Sex. Virtuos wechselt die kahle Künstlerin die Rollen. Am Anfang ist sie die sanfte Verführung in Person: Weiche rote Locken ringeln sich über ihren Rücken, ein glänzendes Gewand umschmeichelt die ausgeprägten Kurven, während eine Männerstimme vom Band ekstatisch ihre Schönheiten besingt. Dann, plötzlich, fallen Lockenpracht, Kleid und ausgestopfter Busen. Aggressiv züngelnd rückt Bridge Markland dem Publikum auf die Pelle, faßt an Knie und Hälse und räkelt sich auf den Oberschenkeln der verlegen grinsenden Zuschauer in der zweiten Reihe. Dann mutiert sie zum Mann im Nadelstreifenanzug, reckt sich lässig in den Schultern und befühlt Bartstoppeln, die sonst keiner sieht. Ihr drittes Stück fällt gegen die beiden ersten stark ab. Denn hier wiederholt sich nur, was die Zuschauer schon kennen: das Ausziehen, das Züngeln und der Angriff aufs Publikum.
Jean Verdier, der Gründer des ÜBÜ-Theaters, zeigt einen Ausschnitt aus seiner Theaterfarce „Der letzte Spezialist“. Als Vorhangheber langweilt er sich, weil die Sänger, statt zu proben, sich in der nächsten Pizzeria vollaufen lassen. So spielt er auf eigene Faust die postmodern-neoklassisch- avantgardistisch-melodramatische Oper mit sozialem Kontext nach. Wild fuchtelt er mit den Händen und brabbelt französische und italienische Satzfetzen durcheinander. Über den Lautsprecher wird simultan übersetzt, weil man dem Publikum zwar gutes Englisch, aber keine Französischkenntnisse zutraut. Melodien von Verdi und Bizet fügen sich mit der packenden Handlung um eine Fahrkartenkontrolle in der U-Bahn zu einer Oper, die man gerne zur Gänze hören würde. So geht man nach Hause, reich an Weisheiten, die dem Vorhangzieher sein Großvater beigebracht hat: „Besser reich und arm als krank und gesund.“
Heute, morgen und am 18. und 21. August um 20.30 Uhr im „Freunde der Italienischen Oper“, Fidicinstraße 40, Kreuzberg (691 12 11).
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