■ Tour d'Europe: Weniger Soldaten
Drei bis vier Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges begannen die Staaten Europas, ihre Streitkräfte zu verkleinern und sie für neue Aufgaben zu rüsten. Deutschland reduziert die Zahl seiner Soldaten bis 1997 von ehemals fast 500.000 auf 300.000. Italien, Großbritannien und Holland wollen auf je ein Drittel der Kameraden verzichten. Nur Griechenlands Armee bleibt bei 160.000 Mann, und auch Luxemburg will seine 800 Mann behalten. Am weitesten geht Belgien, das Anfang des Jahres die Wehrpflicht abgeschafft hat und ein kleines Berufsheer mit maximal 40.000 Soldaten für ausreichend hält. Die belgische Regierung verzichtet künftig sogar auf eine eigenständige Kriegsmarine. Belgien und Holland unterhalten nur noch eine gemeinsame Navy.
Auf festem Boden wollen sowohl Belgien als auch Holland jeweils eine gemeinsame Division mit Deutschland aufstellen. In Großbritannien, wo das Verteidigungsbudget in den letzten Jahren um fast sechs Milliarden Mark gekürzt wurde, tauchte bereits die Frage auf, wofür die britische Armee überhaupt noch gut ist. Für einen Falklandkrieg, so mutmaßen Militärexperten, würde es heute nicht mehr reichen.
Die Neuformulierung der Militärstrategien ist deutlich geprägt von den Regionalkonflikten, die nach dem Ende der Blockkonfrontation überall aufgeflackert sind. Fast alle Armeen bauen Spezialtruppen für Einsätze in Krisengebieten auf, die auch für Blauhelmmissionen bereitstehen sollen. Doch während Länder wie Dänemark dafür eine 4.500-Mann-Truppe für angemessen halten, will Frankreich seine Schnelle Eingreiftruppe, die vor allem in Afrika an vielen Stellen im Einsatz ist, auf 130.000 Mann aufstocken. Kernstück dieser Eingreiftruppe bleibt die mythenumrankte Fremdenlegion. Frankreich hat im Gegensatz zu den meisten anderen eine Erweiterung seines Militärhaushaltes angekündigt und will eine Führungsrolle im europäischen Rahmen übernehmen. Entscheidend dafür war der Nato- Gipfel im Februar, auf dem sich abzeichnete, daß die USA sich etwas zurückziehen wollen und die Verantwortung für die Sicherheit in Europa künftig stärker bei den europäischen Staaten liegen wird. Das als Kern einer europäischen Armee gedachte Eurokorps, in dem mittlerweile neben französischen und deutschen Soldaten auch Spanier und Belgier Dienst tun, ist vorwiegend mit dem Abschreiten symbolträchtiger Plätze an historischen Gedenktagen beschäftigt. Für eine militärische Bedeutung fehlt dem Eurokorps der politische Überbau. Die Westeuropäische Union (WEU), der das Eurokorps unterstellt werden soll, hat kaum politisches Gewicht, weil nur Frankreich an der WEU wirklich interessiert ist. Die anderen wollen lieber an der Nato als zentralem Militärbündnis festhalten. Sie wollen auf keinen Fall auf den Schutz der USA verzichten, die in der WEU nicht vertreten sind.bois
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