: Eine falsche Zeit für die Liebe
■ Karl und Wilma Mager heirateten am Tag des schweren Bombenangriffs auf den Bremer Westen und feiern nun goldene Hochzeit / Frau Mager erzählt
Meine Erlebnisse bei dem Bombenangriff auf Bremen standen in engem Zusammenhang mit den Planungen für meine Hochzeit. Die große Feier sollte in einer 36 qm großen Wohnung stattfinden, das Fenster war mit Holz vernagelt. Zur Bewirtung waren ein Butterkuchen, ein Topfkuchen und 50 Gramm Bohnenkaffee, den wir uns lange vorher zusammengespart hatten, vorgesehen. Das Standesamt war am Tiefer. Die kirchliche Trauung sollte um 13 Uhr in der Michaeliskirche sein - die Waller Kirche war durch Bomben beschädigt. Für die Hinfahrt war eine Kutsche bestellt. Die Garderobe bestand aus einem geliehenen weißen Hochzeitskleid.. Zwei Brautjungfern sollten uns begleiten, deren Männer waren im Krieg. Zwei Mädchen sollten Blumen streuen. Der Blumenkorb war von einer Kollegin geliehen.
Der 18. August 1944 war ein schöner Sommertag. Abends war unser Polterabend, dafür war auch genug Geschirr vorhanden. Wir hatten ganz gut zu fegen. Alles kam auf einen Handwagen rauf und dann in einen Bombentrichter hinein, der an der Ecke Holsteiner / Schleswiger Straße war. Alkohol gab es keinen. Als wir gerade aufgeräumt hatten, ertönten die Sirenen. Schnell wurden die Koffer geschnappt und dann rein in den Bunker. Gegen Mitternacht ging es dann los: Flugzeuggeräusche, Einschläge waren zu hören. In einer halben Stunde konnte man den Bremer Westen nicht mehr wiedererkennen.
Die Planung für unsere Hochzeit war damit natürlich im Eimer. Gegen Morgen verließen wir den Bunker. Ich versuchte den Weg zum Standesamt zu erkunden. So lange ich lebe, werde ich das nicht vergessen: Die Waller Heerstraße war noch gut zu begehen, natürlich überall Rauch usw. Ecke Hansa-/Utbremer Straße ging es dann los. Alles kaputt, verkohlte Menschen lagen auf den Straßen. Es war furchtbar. Hier war kein Weg zum Standesamt zu finden. Also ging ich zurück nach Hause. Mein Verlobter und ich machten uns dann durch den Fibndorffer Parallelweg zur Tiefer auf den Weg. Meine Mutter und mein Opa, die Trauzeugen waren, versuchten auf anderen Schleichwegen dorthin zu kommen. Es klappte: deutsche Pünktlichkeit, wir konnten getraut werden. Unser Opa war dann noch Trauzeuge bei anderen, dort wo die Trauzeugen unter Trümmern lagen. Dann ging es wieder auf verschiedenen Wegen nach Hause. Mit Butterkuchen wurde es nichts, da im Konsum wegen Ofenausfall nicht gebacken werden konnte. Die Stimmung war natürlich hin.
Bei der kirchlichen Trauung gab es dann das Problem, daß die Michaeliskirche zerbombt war und Pferde und Kutsche verbrannt waren. Pastor Klein kam nachmittags zu uns. Er war sehr verärgert, daß wir nicht versucht hatten, bis zur Michaeliskirche zu kommen, er hatte dort gewartet. Für mich war klar gewesen, daß ich nicht versuchen würde, bis zur Kirche durchzukommen - wegen der Hitze war das fast unmöglich.. Außerdem lagen überall Tote.
Eine Tante, die ausgebombt wurde und außer einem Koffer nichts mehr besaß, kam am Nachmittag. Sie weinte und war ganz aufgelöst. Sie schenkte uns noch drei Handtücher - das muß man sich mal vorstellen! Von Parzellisten bekamen wir viele Blumen. Nachmittags kamen die Brautfungfern vorbei. Zu der Zeit gab es wieder Fliegeralarm. Keiner hatte Lust dazu, Kaffee zu trinken und Topfkuchen zu essen. Der Kollegin, die mir den Blumenkorb geliehen hatte, konnte ich dieser nicht zurückgeben: Sie wohnte an der Nordstraße und wollte nach dem Angriff nach Findorff, aber auf dem Weg dorthin kam sie im Feuersturm um. Nach dem Angriff vom 18./19. August hatten wir eine einmalige Sonderzuteilung: Es gab 50 Gramm Bohnenkaffee, eine halbe Flasche Trinkbranntwein und 125 Gramm Süßwaren für Kinder unter 18 Jahren. Im Radio kam um 12.35 Uhr der übliche knappe „Bericht zur Lage“, um 16.00 Uhr ein „Bunter Melodienstrauß“.
Soll ich Ihnen mal meine Hochzeitsnacht schildern? Wir vier - meine Mutter, mein Bruder, mein Mann und ich - schliefen alle in einem Zimmer. Da hatten wir nicht viel Möglichkeiten für Liebe. Was man nachts hörte, waren die Geräusche von der Prothese von meinem Mann, wenn der sich umdrehte. Sie müssen sich das vorstellen: sieben Leute auf 36 qm, da gab's nicht Intimes.
Aber auch wenn da erst mal nichts Intimes möglich war, war es nicht einfach nüchtern. Wir hatten auch unsere romantischen Vorstellungen, was wir alles machen wollten, wenn wir verheiratet sind. Damals war man dann schon mit einfachen Sachen zufrieden, z.B. wenn mein Mann ein Stück Seife zugewiesen bekam, als Sonderration, weil er beinamputiert war. Nicht diese „Schwimmseife“, die so leicht war, daß sie auf dem Wasser schwamm.
Einen Tag nach diesem Debakel traten wir noch unsere Hochzeitsreise nach Fallingbostel an. Wir hatten den Urlaub schon vorher gebucht, für zwei Wochen, wir blieben dann aber nur eine Woche, weil wir die ganze Zeit Angst um unsere Angehörigen in Bremen hatten. Obwohl man uns in Fallingbostel sagte, daß wir keine Angst vor Bomben haben müssen, weil da in der Nähe ein Gefangenenlager war, das die Aliierten natürlich nicht angriffen, waren wir doch die ganze Zeit voller Unruhe. Die kirchliche Trauung fand dann im Oktober nach einem schweren Angriff statt.
Gespräch: Cecilie Eckler-von Gleich (Kulturinitiative Brodelpott), Burkhard Straßmann
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