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Entpolitisierung des Sports

... oder Entsportlichung der Politik? / Krach um Ernennung von Vereinsvorsitzenden, Clinch mit den Gerichten  ■ Aus Rom Werner Raith

Wer hätte das gedacht: Ausgerechnet unter Silvio Berlusconi, der ohne seine AC-Milan-Fan- Clubs niemals seine Politformation „Forza Italia“ hätte aufbauen können, soll nun jenes „Wunder“ geschehen, von dem Kicker und Läufer, Boxer und Basketballer seit Jahrzehnten träumen: die Trennung von Sport und Politik. Raus mit den Parteifürsten aus den Vereinsleitungen, an ihre Stelle sollen sachverständige Clubleiter und Funktionäre treten. Krach mit seinen eigenen Koalitionären, ja seiner eigenen Partei nimmt Berlusconi dabei in Kauf.

Begonnen hatte freilich alles, in ganz anderem Sinne, nämlich mit dem Versuch einer Aushebelung regierungsmuffeliger Funktionäre. Der Koalitionspartner „Nationale Allianz“ hatte einen Frontalangriff gegen den Präsidenten des italienischen Fußballverbandes, Antonio Matarrese, gestartet – in der Annahme, der Oberkicker der Nation sei Ministerpräsident Berlusconi sowieso ein Dorn im Auge, hatte er dem Medienmogul doch jahrelang kräftig widersprochen, wenn der seine Weisheiten über Mannschaftsaufstellungen und Spielstrategien zum besten gegeben hatte. Und dann hatte er sich auch noch erlaubt, während des Wahlkampfs keinerlei Unterstützung für die „Forza Italia“ auszusprechen. Die Vorsitzenden faktisch aller Sportverbände Italiens, so die „Nationale Allianz“, seien Ableger der alten Führungscliquen, also der Christdemokraten und Sozialisten, und daher automatisch gegen die Regierung eingestellt – weshalb sie so schnell wie möglich durch freundlichere Bosse zu ersetzen seien. Rücktritte seien unumgänglich, notfalls Rausschmisse, so der Sportbeauftragte der „Alleanza nazionale“, Antonio Mazzocchi.

Tatsächlich haben sich Italiens frühere Politregenten reichlich im Sportgeschäft getummelt: der sozialistische Außenminister Gianni De Michelis wurde an die Spitze der Nationalen Basketballvereinigung berufen, sein christdemokratischer Kollege Vincenzo Scotti, zeitweise Innenminister, stand dem Radrennsport vor, Sozialdemokrat Francanzani kommandierte im Volleyball. Auch umgekehrt klappte so manche Karriere: Fußballerpräsident Carraro wurde zum Beispiel unter seinem sozialistischen Parteichef Bettino Craxi Minister für Sport und Tourismus. „Eine Versportlichung der Politik“ spottete Il Manifesto.

Das System setzte sich nach unten fort, und zahlreiche Provinzverbände, ja auch die der größeren Städte, gerieten sogar in die Koalitionsverhandlungen, sobald es um die Neuformierung kommunaler Administrationen ging. Vielen Vereinen blieb gar nichts anderes übrig: Nur wer eine starke Lobby im Stadtrat hatte, konnte die hohen Kosten für den Betrieb von Stadien und die Zuschüsse für überwiegend zuschauerarme Veranstaltungen etwa provinzieller oder kommunaler Leichtathletik-, Box- oder Tenniskonkurrenzen auf die öffentliche Hand abwälzen.

Ermuntert sahen sich die Sport- Wender der Nationalen Allianz mit ihren Ablösungsforderungen durch eine Reihe heftiger Anklagen des Obersten Rechnungshofs und einer Vielzahl negativer Gutachten verbandsinterner Kassenprüfer: Ob im Fußball, im Reitsport, bei den Leichtathleten oder den Wasserballern, allüberall stießen die Kontrolleure auf Verschwendung und Mißmanagement. Vor allem, wo es um die staatlichen Zuschüsse ging, scheint das System der alten Schmiergeldrepublik bis heute weitgehend unangetastet: „Da herrscht Klientelismus und Dilettantismus“, stellte der staatliche Rechnungshof fest, „und zwar in einer Weise, die auch durch sportliche Unerfahrenheit der Verbandsspitzen nicht entschuldigt werden kann.“

Dem halten zumindest die Fußballverbandsspitzen entgegen, daß sie – „im Gegensatz zu nahezu allen anderen Sportvereinigungen“ – seit Jahren auf ihre Autonomie pochen, und daß speziell Matarrese sich damit allseits herzlich unbeliebt gemacht hat – „was leider auch mit manchen Nebenkosten verbunden war, weil man eben die Lobby verlor“.

Daß Matarrese einen eigenen Kurs versucht hat, ist zweifellos richtig. Sogar mit den Gerichten hat er sich inzwischen angelegt. Die hatten zum Beispiel immer mal wieder Vereine, die der Verband wegen unzureichender Finanzierung oder undurchsichtiger Machenschaften heruntergestuft hatte, per Eilbeschluß wieder in ihre alte Liga zurückbefördert. Seit Beginn der Saison 1994/95 setzt Matarrese dagegen und hält die vom Gericht zugelassenen Vereine dennoch draußen. Ein Musterprozeß, der bis zum Verfassungsgericht gehen soll, wird nun klären, wieweit die Zivilgerichtsbarkeit in den Sport hineinregieren darf. Matarrese jetzt abzusetzen, würde all jene verprellen, die die Autonomie des Sports reklamieren.

Und so bremst Berlusconi denn, wie immer mit dem Ohr am Demoskopie-Stethoskop, all jene aus der „Alleanza nazionale“ und auch seiner eigenen „Forza Italia“, die schon glaubten, ihrerseits die Hände auf die publicityträchtigen Ämter und die trotz mancher Sparmaßnahmen noch immer gutgefüllten Kassen legen zu können. Eingedenk mannigfacher Beinbrüche bei Schnellschüssen seines Kabinetts in den letzten Monaten möchte sich der sportbegeisterte Ministerpräsident nicht noch ein blaues Auge holen. Er werde „überhaupt nichts an der bestehenden Lage ändern, ja sogar die Autonomie der Verbände eher noch stärken“, teilte Berlusconi speziell dem stets wadenbeißenden Vorsitzenden des parlamentarischen Kulturausschusses, Vittorio Sgarbi, mit. Der hatte bereits von der Einsetzung von Sonderkommissaren anstelle der Verbandspräsidenten schwadroniert. „Sport und Politik bleiben getrennt“, ließ Berlusconi mitteilen, und ein Sportministerium, wie es Sgarbi wünscht (wahrscheinlich mit ihm selbst – von Beruf Kunstkritiker – an der Spitze) komme schon gar nicht in Frage.

Derlei schnelle Ablehnung hat ihren Grund: Ein solches Ressort würde ein weiteres Mal an den Faschismus erinnern, der durch die Mitwirkung der „Nationalen Allianz“ in der Regierung schon schwer auf dem internationalen Renommee lastet. Es war Mussolini, der einst den Sportbetrieb zur Sache der Regierungspartei, die Ernennung der jeweiligen Verbandchefs sogar zur Chefsache gemacht hatte.

Mehr jedoch als dieser Aspekt wird Silvio Berlusconi ein anderes Faktum beeinflußt haben: Umfragen inner- und außerhalb der Sportvereine haben ergeben, daß sich mehr als 80 Prozent der Aktiven und eine satte Zweidrittelmehrheit der Bevölkerung einen von jeder Parteipolitik freien Sport wünschen.

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