Weiter so!: Der gute Mensch von nebenan
■ Ein kleines Lehrstück über den (leider) nicht alltäglichen Anti-Rassismus
Spätnachmittags im Supermarkt. Fleischtheke. Der Schlachter bedient persönlich. Vor dem Tresen: Eine schwangere Asiatin.
Von rechts nähert sich eine ältere Frau. Frau (im Vorbeigehen): „So ein Trauerspiel! Kommt hierher und wird schwanger. Als hätten wir noch nicht genug Ausländer in Deutschland.“ (Verschwindet zwischen den Gängen.)
Schlachter (zur Kundin): „Moment bitte“. (Kommt hinter der Theke hervor, geht der älteren Frau nach und spricht sie an.)
Schlachter: „Was fällt Ihnen ein, unsere Kunden zu beleidigen?“
Frau (laut, entrüstet): „Hören Sie mal! Ich war Verwaltungsangestellte! Ich hab das schon vor Jahren vorausgesehen mit den Ausländern! Ist doch wirklich eine Plage mit denen!“
(Sie überlegt kurz; dann, in siegessicherem Ton): „Aber wenn Sie deutsches Geld nicht wollen, kann ich das ja auch woanders ausgeben.“
Schlachter: „In Ordnung.“ (Nimmt den Einkaufswagen der Kundin und schiebt ihn beiseite.) „Wir brauchen Ihr Geld nicht. Verlassen Sie bitte das Geschäft.“
Frau (noch lauter): „Das ist ja wohl die Höhe! So können Sie mich nicht behandeln!“
Schlachter: „Kann ich doch. Gehen Sie schon! Sie haben Hausverbot.“
Die Frau begreift die Situation, bekommt zunächst einen hysterischen Anfall, beschwert sich darauf erfolglos bei weiteren Angestellten und geht schließlich schimpfend ab.
Der Schlachter ist hinter die Theke zurückgekehrt und bedient die Asiatin zu Ende. Eine weitere Kundin erscheint und gratuliert.
Schlachter (noch aufgeregt, aber zufrieden): „An meinem Fleischstand gibt's keine Ausländerhetze mehr, ein für allemal!“
Geschehen am 24. August gegen 17 Uhr in Altona, Große Bergstraße, Einkaufspassage. Der Supermarkt: „Bolle und Safeway“. Der Schlachter heißt Ralf Köhn.
Nachtrag: Gestern setzte der Schlachter seinen Chef, der aus dem Urlaub zurückkehrte, von dem Vorfall in Kenntnis. Der Chef billigte sein Vorgehen. Er ist Portugiese.
Matthias Brendel
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