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Press-SchlagLichtgestalt in der Lichtstadt

■ Brasiliens neuer Pelé: Ronaldos Traumstart für den PSV Eindhoven

Das Debüt der Nummer 9 vom PSV Eindhoven hatte arithmetische Akkuratesse: Exakt neun Sekunden nach Saisonstart der niederländischen „Eredivisie“ hatte Ronaldo seine erste Torchance, als er knapp an einer langen Flanke seines Sturmkollegen Luc Nilis vorbeisegelte. Nach 90 Sekunden war erstmals ein niederländischer Verteidiger getunnelt. Und nach neun Minuten kam der brasilianische Jungstar erstmals zum Torschuß: Ohne viel Aufhebens, leicht und locker, schob er nach langem Spurt ein. 1:0 bei Vitesse Arnheim. Augenblicklich hatte Ronaldo Luiz Nazario de Lima (17) seinen vorauseilenden Ruhm eingeholt.

Die Vorschußlorbeeren waren riesig. Die Kunde von seinen Künsten enorm. Balljonglage, Dribbeldiabolik, krachende Schüsse und Tor auf Tor: 58 Treffer in 60 Pflichtspielen im ersten Profijahr in Brasilien. Das schwerwiegende Etikett: „der neue Pelé“. Tostao, Weltmeister von 1970: „Ein Naturtalent. Er hat etwas, daß ich noch nie gesehen habe, auch bei Pelé nicht.“ Giovanni Branchini, der Manager von Romario, der 1989 bis 1993 beim PSV spielte: „Ich habe in Brasilien mit unzähligen Menschen gesprochen. Und glauben Sie mir, es gibt nicht einen einzigen, der auch nur die geringsten Zweifel an Ronaldos Qualitäten und seiner Mentalität hat.“

Nur Brasiliens Nationalcoach Parreira hatte bei der WM in den USA Bedenken. Er personifizierte Ronaldo zwar zur „Zukunft des brasilianischen Fußballs“, setzte im Angriff der Gegenwart aber allein auf Romario und Bebeto. So sahen die Fernsehzuschauer vom vielgepriesenen Nachwuchsstar nur das jungenhafte Lächeln und seine Zahnspange.

Ronaldos bisheriger Lebensweg ist landes- wie fußballtypisch. Aufgewachsen ist er in Rios Armensiedlung Bento Ribeiro im karriereklassischen Schlagschatten des Maracaná- Stadions. Als Pelé abtritt (1.10.1977), ist er gerade ein Jahr alt, erste Gehversuche und Ballkontakte. Bald Probetraining an der Copacabana. Fluminense und Flamengo verkennen sein Talent. Wechsel 1992 zu Cruzeiros nach Belo Horizonte für ein Monatsgehalt von zuletzt 500 Dollar. Aber damit das Klischee nicht zu sehr trieft, sagt der Junge aus den Favelas: „Ich hatte zwar viele Schwierigkeiten in meiner Kindheit, aber Hunger hab ich zum Glück nie gekannt.“

9,5 Millionen hat der Fußball-Teenie die Philips Sportvereinigung aus Eindhoven jetzt gekostet, doppelt so viel wie Romario vor fünf Jahren. Der teuerste brasilianische Export aller Zeiten und der teuerste niederländische Import. Schon vor der WM hatten die Glühlampen-Manager aus der Lichtstadt einen Vorvertrag mit Ronaldo geschlossen. Dann bot Ajax noch mehr Geld. Und Parma. Und Benfica Lissabon. Doch Ronaldos „Zaakwaarnemers“, wie Berater so hübsch holländisch heißen, standen zu ihrem Wort, auch weil sie meinten, daß ihr Schützling beim PSV am ehesten von Anfang an einen Stammplatz sicher hat.

Ronaldo bedankte sich, gerade zehn Tage nach seiner Ankunft in Holland, auf seine Weise. Ein ums andere Mal sauste er in Arnheim seinen vitesse- armen Gegenspielern von Vitesse davon, abgebrüht im Zweikampfverhalten, dribbelgewandt, beidfüßig stark, dazu mit einigen unahnbaren Pässen aus dem Fußgelenk. Seine Bewegungen wirken oft täuschend schläfrig – aber immer nur bis zur nächsten Explosion. Schlaksig der Laufstil, seltsam vorhängend der Oberkörper, wodurch er, auch im Aussehen, an eine Art fußballspielenden Pete Sampras erinnert. Mitspieler und Ex-Münchener Jan Wouters sagt: „Wenn der den Ball hat, weißt du nie, was er vorhat. Ein Riesenspieler, völlig unberechenbar.“ Nach seinem Führungstreffer steuerte Ronaldo noch zwei Vorlagen bei zum 4:2-Sieg des PSV. Und ein Solo der exquisiten Sorte – längs des halben Platzes, herum um den ausgetanzten Torlinienwächter, bis nur noch ein letztes ärgerliches Verteidigerbein auf der Linie glücklich den ganz großen Moment verhinderte.

Nachher schnalzten sie alle mit der Zunge, die gerade mal 9.811 Zuschauer, die im kleinen Arnheimer Stadion die Premiere des möglichen neuen Superstars auf dem reichen Kontinent live miterleben durften, und auch die Offiziellen. PSV- Manager Frank Arnesen: „Ein Juwel.“ Der in Eindhoven wegen seiner Emotionslosigkeit ungeliebte Trainer Aad de Mos diplomatisch: „Eine Bereicherung für den niederländischen Fußball.“ Und Jan Wouters, auch beim PSV der rustikale Mann fürs Grobe, scheint noch zum Fußballästheten zu werden: „Es ist einfach ein Vergnügen, mit Ronaldo zu spielen. Was bin ich froh, daß ich nicht gegen den spielen muß. Aber deshalb haben wir ihn ja auch geholt.“ Die PSV-Fans indes sind im Zweifel: Ist er noch besser als vormals Romario? Oder wird er es erst noch?

Ronaldo selbst, neuerdings ohne Zahnspange, dafür mit dem dünnsten Oberlippenflaum seit Andy Möller, lächelte charmig und gschamig nach dem Kick lange in die Kamera des brasilianischen Fernsehens und erklärte sich „happy“ und „muito contente“ – sehr zufrieden. Um so mehr, als er die Mitspieler noch mit keinem Wort verstehe – nur Gica Popescu, der Rumäne, der könne etwas Italienisch, und da fielen schon mal ein, zwei ahnungsweise verständliche Vokabeln. Und jetzt wolle er auch anfangen, ernsthaft zu trainieren. Nach gut einem Monat ohne jede Vorbereitung seien die Beine arg schwer. Und Ronaldo hofft sehr, daß Luciana bald kommen kann. Das ist seine Freundin. Die ist auch schon 17, hat aber noch Verpflichtungen in der Heimat: die Schulbank. Bernd Müllender

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