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Düssel an alle

■ TV-Kritiker umarmen das Fernsehen (Teil 6): Die Urkrimiserie "Stahlnetz" (NDR)

Von Jan Feddersen

Ganz gegen die Realitäten des Programmangebots beschäftigt sich die TV-Kritik stets mit dem Neuen. Dabei lebt das Fernsehen von seiner Serialität. Die besten Formate sind selten die neuesten. Weshalb sich die taz-Kritiker in dieser Serie mit liebgewonnenen Altlasten auseinandersetzen.

Immer weniger scheint er hineinzupassen in die gepflegte Atmosphäre öffentlich-rechtlicher Funkhäuser, in denen längst die smarten Herren in smarten Anzügen dominieren: Jürgen Roland, der seine meckikurzen Haare schon trug, als der Zweite Weltkrieg gerade vorbei war, und sich auch nicht anpaßte, als Ende der Sechziger alle Welt plötzlich lang trug, schaut noch heute aus seinen kühlen Augen wie eine Bulldogge kurz vor dem Biß in die Wade.

Der knapp Siebzigjährige hat wie kein zweiter der deutschen TV-Kriminalästhetik seinen Stempel aufgedrückt: Jürgen Roland, Hamburger, Sprößling eines feinen hanseatischen Kaufmanns, mochte immer eher die dreckigen Ecken Westdeutschlands, die Nutten, Zuhälter, Boxer – Leute aus dem Milieu, in denen härtere Gesetze gelten, wo aber nicht minder Leute mit Herz anzutreffen seien: Dem Sonntagsblatt galt er im Oktober 1964 zutreffend als ein „Reporter der Kamera“.

Roland, der Polizeiexperte des Deutschen Fernsehens, hat dem Medium den amerikanischen Drive beigebracht mit Filmen wie „Der Polizeibericht meldet“, „Polizeirevier Davidswache“ oder – zuletzt, dort wesentlich betulicher – im „Großstadtrevier“. Immer scheint bei ihm rotes Licht zu leuchten, niemals gab er der Versuchung nach, seinen Figuren so etwas wie psychologischen Tiefgang zu verpassen – und das spricht angesichts vieler deutscher „Tatort“-Schreiber doch sehr für ihn.

Denn Roland setzte stets auf Aktion, was er stets als Äktschn zu artikulieren pflegt. Vor allem mit seinen 25 Folgen „Stahlnetz“ hat er den Deutschen Respekt vor dem Bösen schlechthin beigebracht. Gemeinsam mit dem später hochgelobten Wolfgang Menge, der die Drehbücher nach aktuellen Polizeifällen erarbeitete, prägte er lange vor dem „Kommissar“ das deutsche Krimigenre.

Alles „echte“ Fälle

Der durch penible Aktenrecherche erzielte Realitätsbezug macht das schwarzweiß gedrehte „Stahlnetz“ auch heute noch sehenswert: Offenbar ist dem Gespann Roland/Menge ein getreues Abbild der damaligen Stimmung im Lande gelungen: Zwar lobt Roland wie eh und je die mühevolle Arbeit der Polizei, macht sich aber auch gelegentlich lustig über die beamtenhafte Art der Verwaltung des Bösen. Sehr erhellend heißt es in der Folge „Das Haus an der Stör“, in der ein unmittelbar nach Kriegsende verübter Mord aufzuklären ist (großartig: Rudolf Platte und Mady Rahl!): „Sie müssen sich die Zeit vor Augen halten“, aber man könne sich nur an „Äußerlichkeiten“ erinnern: „Aber wissen wir deshalb Bescheid?“

Die Folgen der „Stahlnetz“- Reihe sind im nachhinein kaum zu ironisieren, womöglich haben sie auch deswegen nicht in das dickleibige TV-Memorybuch „Am Fuß der blauen Berge“ hineingepaßt – zumal Humor nicht zu Rolands Stärken zählt. Mit allem Ernst zeigt „Stahlnetz“, wie sehr die Polizei – und auch der Regisseur – noch befangen war in vordemokratische Denkweisen: Die Hierarchien stimmen noch, die Bürger stehen stramm, wenn die Ordnungshüter um Auskunft begehren. Das Böse ist mit oft polterigem Aufwand („Düssel, Düssel an alle...“) einzukreisen. Das Schlechte hat noch Namen, die Täter sind bestenfalls krank und aus dem Gesellschaftskörper auszustoßen.

Manchmal blitzt aber dennoch so etwas wie demokratisches Bewußtsein auf. Beispielsweise wenn Verständnis geäußert wird für eine Tat, die unter extremem sozialen Druck ausgeübt wurde. Roland war sich offenbar selbst nie einig, was ihn mehr faszinieren soll – der Polizeiapparat, der ingenieurhaft mit den Geschwüren der Gesellschaft ins Gericht zu gehen habe wie der Arzt mit einer Metastase, oder aber das Tun der Täter, die im „Stahlnetz“ oft handelten, als könnten sie nicht anders. So etwa sieht wohl der Beginn einer zivileren Sichtweise von Crime & Criminals in Deutschland aus.

Selbstverständlich ist der ambivalente Genuß der „Stahlnetz“- Krimis politisch keineswegs korrekt. Aber er zeigt, wie unsere Eltern gedacht haben, wie damals, Ende der Fünfziger, keine halbe Generation vom „tausendjährigen Reich“ entfernt, Wirklichkeit wahrgenommen wurde. Daß Jürgen Roland ab und an versucht, an sein Vorbild Alfred Hitchcock heranzukommen, indem er sich selbst ins Bild oder zu Gehör bringt, muß nicht stören: Der Mann hat soviel für den deutschen Krimi getan, daß dieser Zug verziehen werden muß.

N 3 wiederholt derzeit die „Stahlnetz“-Folgen samstags nachts.

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