: In der Lachsalven-Schraubzwinge
■ Das Bremer „Varieté Wüst“ geht in die Winterrunde und wütet wieder mit Kleinkunst um sich
Ernst zum Beispiel, Ernst ist immer für Überraschungen gut. Ernst überrascht immer damit, daß er immer das Gleiche macht. Ernst, der Quassler, der sich mit Konfetti bewirft, dem's heute ziemlich leicht fällt, dem aber ab und zu seine Keulen auch wohlplaziert auf der Stirn landen. Vorsicht jedoch: Ernsts Fangemeinde ist eine eingeschworene und lacht wie eine Schraubzwinge. Es ist wie bei der Welle im Weserstadion, irgendwann schwappt sie alle an, und wer nicht mit hochkommt, geht unter.
Dann lieber Muskelkater. Vom rhythmisch wiederkehrenden Zwerchfellbeben. Einmal im Monat treffen sich die trainierten Fans vom „Varieté Wüst“, wenn sich gelernte und lernende Keulen- und Ballwerfer, Aufeinanderdraufsteigende und Musizierende aus ihren Hobbykellern herauswagen und das Bürgerhaus Weserterrassen in einen Schmelztiegel mit Klöcknertemperaturen verwandeln. „Varieté Wüst“, das war vor gut drei Jahren noch ein lockerer ArtistInnenstammtisch, und ist heute neben dem „Scheinbar“ in Berlin das einzige selbstverwaltete Kleinkunstvarieté in Deutschland. Mitmachen können alle, Profis wie solche, die es hoffentlich nie werden wollen.
„Wüst“ ist ein Bremer Geheimcodewort geworden. Obwohl Jonglage, unplugged, doch eigentlich out ist. Versagersyndrom ist seit Al Bundy ultimativ out. Und Hausmeister sind auch out. Außer sie haben wie der „Wüst“-Hausmeister Herbert Kramer den VHS-Work-shop „Du und das Theater“ besucht. Der könnte jetzt sogar Monserrat Caballé ansagen, die gekommen wäre, hätte sie nicht im Weserstadion „einen bleibenden Eindruck auf dem Rasen hinterlassen“, so daß man jetzt um die Varieté-Bühne fürchten müsse. Zum Ersatz übt Herbert Kramer mit den Leuten Wellen – und kommt übergangslos zum „Flop des Abends“.
„Trio Flop“. Das sind die drei bestgekleidetsten männlichen Mannequins zwischen Sielwallfähre und Café Sand. Die in erster Linie ihr Sakko von innen nach außen tragen und ihre Münder verziehen. Oder auch mal aufreißen, wenn eine Golfballkugel raus muß, weil es bereits 22.48 Uhr ist, und der Sicherheitsbeamte sich vom ordnungsgemäßen Zustand des Ziehungsgerätes überzeugt hat. Flop-Tombola ist angesagt. Im wabernden Gummitopf purzeln die Bällchen, und Trio Flop läßt Millionen erzittern und entfleuchen. Nur so können Jackpots geknackt werden!
Echt „Wüst“ ist dieser Dreier. Simpel, trocken, beinhart. Stülpt sich zum Osterhasenrap weiße Kinderstrumpfhosen über. Bläst eine Art Tekkno-Blues ins Reagenzgläschen und zieht sich den Möhrenjoint rein. Ja, da greifen die Fans angeturnt zu, als das orange Gemüse anschließend ins Publikum fliegt.
Überhaupt, der „Varieté Wüst“-Fan als solcher, der greift nicht nur zu, sondern auch ein. Dirk und Eberhard etwa. Oder Wilfried, der redet sogar dem „Schorse in der Disse“ dazwischen und reißt übermütig die Show an sich. Sowas endet dann damit, daß der „Herr Hagenau vom Amt für öffentliche Sicherheit“, erst seit kurzem im Außendienst, im Ficus Benjamin des Bürgerhauses hängenbleibt. Und glückliche Fans nach Hause gehen. Man soll draußen möhrenessende gesehen haben. Silvia Plahl
Das nächste wüste Treffen ist am 6.10.; am 27.10. gibt „Wüst“ im Schlachthof ein Benefiz für Ruanda
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