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Wenn die Gondeln Drachen tragen ...

Am Wochenende finden auf der Regattastrecke in Berlin-Grünau die Europameisterschaften der Drachenboote statt / Wildes Paddeln zu Ehren eines chinesischen Poeten  ■ Von Matthias Mellinghaus

Berlin (taz) – Qu Yuan hieß der Mann. Vor rund 2.000 Jahren war er ein beliebter, gerechter und dichtender Staatsmann im chinesischen Königreich Chu. Weil er aber als Dissident fortgesetzt gegen die korrupte Regierung andichtete, schickten die gemeinen Machthaber ihn in die Verbannung. Fortan zog er, ziemlich folgenlos vor sich hin reimend, durch die Lande. Irgendwann war der gute Qu Yuan ziemlich frustriert und als nichts mehr half, setzte er, wie es sich für einen guten Dissidenten gehört, ein Zeichen und sich selbst ein Denkmal, indem er sich in den Fluß Mi Lo stürzte.

Das geschah am fünften Tag des fünften Mondes (16.Juni) und offensichtlich in der Nähe eines Fischereihafens, denn Scharen von Fischerbooten versuchten den guten Mann ruck zuck zu erreichen, um ihn vor den hungrigen Fischen zu bewahren. Obwohl die Boote sehr schnell waren und die Fischer zusätzlich versuchten, durch wildes Rumprügeln der Paddel aufs Wasser, die unpoetischen Fische vom Verzehr des Herrn Yuan abzuhalten, mißlang die Rettungsaktion. Zutiefst geplagt von Schuldkomplexen und Versagensängsten, gelobten die Fischer Besserung und beschlossen, um in Zukunft besser vorbereitet zu sein, regelmäßige Rettungsübungen. Seitdem versuchen Jahr für Jahr Heerscharen von Drachenboot-Enthusiasten mit einer Reihe von Rennen ihr Gewissen zu beruhigen und Herrn Qu Yuan post mortem zu ehren.

Als fester Bestandteil der chinesischen Mythologie hat der Sport auch eine religiöse Bedeutung. Tao-Priester hauchen vor jedem Rennen den Drachenköpfen durch Aufmalen von Pupillen Leben ein; die umgekehrte Zeremonie nach Ende der Veranstaltung soll für den gesunden Drachenschlaf gut sein. Neben allerlei anderem folkloristischen Gebräuch buk in früheren Jahrhunderten zur Zeit der Drachenrennen der rechtschaffene und gläubige Chinese eine Fülle von Reisklößen, die er dann anschließend ins Wasser schmiß. Im utilitaristischen 20. Jahrhundert wird das leckere Gebäck hingegen aufgegessen.

Neben der rituellen Bedeutung haben die knallbunten und höllisch lauten Drachenbootrennen in der VR China, Taiwan, Hongkong und Singapur durchaus Volksfestcharakter. Zehntausende pilgern jährlich zum Hongkonger Hafen, um die im dreckstrotzenden und welligen Hafenbecken ständig vom Untergang bedrohte internationale Paddlerschar frenetisch anzufeuern. Das gewaltigste Getöse ertönt, wenn die bekannten einheimischen Größen auf der Strecke sind. Neben der eher breitensportlich orientierten Masse der Paddler, gibt es in Asien eine Reihe von Profiteams, die, mit beängstigenden Oberkörperproportionen und der Fähigkeit zu kolibriartiger Schlagfrequenz ausgestattet, den Status von Superstars haben.

Nach Australien, Kanada und in die USA ausgewanderte Chinesen trugen den Sport in alle Welt, in Europa erfreut sich das Drachenbootfahren seit ungefähr zehn Jahren steigender Beliebtheit. In 14 europäischen Ländern erschrecken sich die Angler mittlerweile vor plötzlich auftauchenden Drachenfratzen.

Um den internationalen Vergleich zu ermöglichen, sieht ein Drachenboot heute überall fast gleich aus: am Bug ein bunt-böser Drachenkopf, hinter dem ein kleiner Trommler sitzt, der wild und möglichst rhythmisch auf einer Riesentrommel rumhaut. Ihm zu Füßen sitzen rechts und links je zehn Paddler, die versuchen, dem Diktat der Trommel zu folgen. Am Heck steht ein Steuerleut, der unzureichende Kräfte der einen oder anderen Seite auszugleichen versucht. Es sieht auch für europäische Augen recht lustig aus, wenn sich sechs dieser tonnenschweren Monsterboote unter Höllenlärm und wildem Gespritze um die Ehre streiten, Qu Yuan als erste wieder nicht zu erreichen.

Das empfanden auch die im Berliner Exil lebenden Hamburger Studenten so, und nachdem Freunde ihnen ein olles Holzboot schenkten, beschlossen sie, den Sport auch in Berlin einzuführen. 1990 gründeten sie die „Wann-Sea Dragons“. Flugs bildete sich ein agiles Ost-West-Team, das bisher an diversen Großpaddeleien in Taiwan, Hongkong, Kanada und in europäischen Ländern teilgenommen hat. 1992 entdeckten auch Berliner Frauen ihre Sympathie für den Sport und gründeten die „Spree Sisters“. Inzwischen gibt es mehr als 70 Sisters und Dragons, die am Wochenende die 3. Drachenboot-Europameisterschaften, ausrichten. Teams aus Schweden, Holland, der Schweiz, Dänemark und England werden um die europäischen Titel der Frauen-, Männer- und Mixedklassen streiten. Da sich auch Boote aus den USA, Kanada und von den Phillipinen angesagt haben, gibt es zusätzlich offene Wettkämpfe. Neben der Paddelei bieten die Berliner ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Spaß- und Prominentenrennen, chinesischen Künstlern und einer großen Drachenbootparty an. Ob die Schaulustigen ähnlich stimmungsgeladen wie die Asiaten die Grünauer Olympia-Regattastrecke zum Kochen bringen, bleibt abzuwarten.

In Ermangelung eines geeigneten Tao-Priesters hat der Köpenicker Bezirksbürgermeister die Ehre, die Rennen durch die Erweckung der Drachen zu eröffnen. Wie aus gewöhnlich gut informierten Kreisen verlautet, soll sich der Geist des dissidenten Herrn Qu Yuan angesichts der Tatsache, daß ausgerechnet ein minderbespirituellter Politiker eine Veranstaltung zu seinen Ehren eröffnet, ganz grauslich ärgern.

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