: Zerrieben zwischen Indien und Pakistan
■ Noch keine Hoffnung auf eine Verhandlungslösung im Kaschmir-Konflikt
Delhi (taz) – Die Unabhängigkeitsfeiern Pakistans und Indiens Mitte August liegen um einen Tag auseinander, weil der britische Vizekönig Lord Mountbatten im August 1947 die offizielle Machtübergabe in den beiden Hauptstädten nicht am gleichen Tag bewältigen konnte. 47 Jahre und drei Kriege später bieten die beiden Feiertage den Politikern noch immer Gelegenheit, sich mit den Folgen der damaligen Trennung auseinanderzusetzen.
Pakistans Premierministerin Benazir Bhutto sprach also auch in diesem Jahr vom Kaschmir-Konflikt als Teil des unfinished business der indisch-pakistanischen Trennung von 1947 und erneuerte ihr Versprechen, diesem „Schwebezustand“ ein Ende zu bereiten.
Tags darauf antwortete ihr indischer Kollege Narasimha Rao: Von der Brüstung des historischen „Roten Forts“ herab erklärte er, Kaschmir sei ein fester Bestandteil der Indischen Union. Im übrigen, fügte er hinzu, wenn man schon von unfinished business rede, dann betreffe dies den pakistanisch besetzten Teil Kaschmirs.
Es war das erste Mal seit Staatsgründer Nehrus Zeiten, daß ein so hochrangiger indischer Politiker den Spieß umdrehte und den Kampf zumindest verbal ins gegnerische Territorium trug: was Pakistan „Freies Kaschmir“ – Azad Kaschmir – und Indien „pakistanisch besetztes Kaschmir“ nennt, war tatsächlich einmal Teil des Maharaja-Königreichs gewesen und hatte sich 1947 unter dubiosen Umständen auf die Seite Pakistans geschlagen, als sich der dortige Herrscher im letzten Moment für Indien entschied.
Bisher hatte es Indien aber immer vermieden, Pakistans De-facto-Annexion in Frage zu stellen. Im Simla-Abkommen von 1972 vereinbarten beide Länder eine friedliche Regelung ihrer Differenzen, um die sie bereits drei Kriege geführt hatten. Doch die bilateralen Gespräche verliefen immer wieder im Sand, und als die politische Mißwirtschaft Delhis in den achtziger Jahren erstmals eine militante Befreiungsbewegung im indischen Teil hervorrief, fand diese bald die Unterstützung Islamabads.
Seit bald fünf Jahren ist Indien nun mit einer Untergrundbewegung konfrontiert, die aus rund einem Dutzend Gruppierungen besteht. Sie vertreten alle möglichen ideologischen Schattierungen: so strebt die „Jammu & Kashmir Liberation Front“ einen unabhängigen Staat an, die „Hezbollah“- Gruppen haben sich einer islamischen Ideologie verschrieben und kämpfen für einen Anschluß an Pakistan. Trotz ihrer ideologischen Unterschiede profitieren alle von zwei entscheidenden Faktoren: sie genießen die (zumindest passive) Unterstützung einer großen Mehrheit der lokalen Bevölkerung, und sie können sich auf pakistanisches Territorium zurückziehen, wenn die indischen Soldaten – insgesamt knapp eine halbe Million Mann – ihnen auf den Fersen sind.
Weder Pakistan noch Indien wollen ein unabhängiges Kaschmir. In Pakistan hat Kaschmir auch innenpolitische Bedeutung, es ist eines der wenigen Bindemittel für einen Staat, in dem sich immer stärker ethnische Fliehkräfte bemerkbar machen. Das ständige Spiel mit der Atomwaffe, wie es kürzlich in den Äußerungen von Nawaz Sharif wieder zum Ausdruck kam, hält Indien von einem „heißen“ Krieg ab, glaubt man in Pakistan.
Die Äußerungen von Premierminister Rao am 15. August zeigen, daß sich Indien aus dieser militärischen und diplomatischen Zwangslage zu lösen beginnt, Folge einer langsamen Veränderung der Situation im Srinagar-Tal selber. Delhi versucht, die Militanten politisch und militärisch so weit abzudrängen, daß ein politischer Prozeß in der Bevölkerung in Gang kommt. Ein Beispiel war die Lösung der Krise um die Hazratbal-Moschee im letzten November, als die Regierung die geringe Popularität der Besetzung durch Freischärler geschickt nutzte. Sie zwang diese zur Räumung des wichtigen Pilgerorts und gab einer Gruppierung von zivilen Politikern Auftrieb, indem sie diese als „Sieger“ der Verhandlungen in Szene setzte.
Indien beutet auch die ideologischen Differenzen innerhalb der Bewegung aus, indem es der auf Unabhängigkeit drängenden JKLF gegenüber den pakistanhörigen Gruppen Vorteile einräumt. Erstmals kam es diesen Sommer zu Protestdemonstrationen gegen die Guerillas, nachdem diese einen geachteten religiösen Würdenträger ermordet hatten, weil er bei der Freilassung des Sohnes des ehemaligen Financial Times-Korrespondenten David Housego vermittelt hatte.
Immer wieder kommt es jedoch zu Exzessen vor allem durch die paramilitärischen Verbände, zu Folterungen und Erschießungen. Armeesprecher beharren darauf, daß eine Reihe von Soldaten und Offizieren militärgerichtlich abgeurteilt worden sind, sie wollen aber eine öffentliche Information darüber vermeiden, um nicht „die Moral der Truppe zu untergraben“.
Die Regierung hat sich bereit erklärt, ausgewählte ausländische Organisationen nach Kaschmir reisen zu lassen. Eine Delegation des IKRK besuchte dort im März einige Gefängnisse, und die Organisation hat die Erlaubnis erhalten, unter dem Mantel medizinischer Betreuung in Srinagar eine Präsenz aufzubauen.
Als Nawaz Sharif vor kurzem die Existenz einer pakistanischen Atombombe bejahte, war in Delhi die Schadenfreude größer als die Angst. Der Grund: Das Bekenntnis sollte der Welt einen „terroristischen Staat“ vorführen, der zudem noch einen nuklearen Sprengsatz im Keller hat.
Die aggressiven Äußerungen von Premierminister Rao verfolgen den gleichen Zweck. Das Ziel seiner Rückforderung des pakistanischen Teils Kaschmirs ist wohl weniger die Eröffnung einer neuen Kriegsfront als der Versuch, die diplomatische Auseinandersetzung um Kaschmir ins gegnerische Lager zu tragen. Bernard Imhasly
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