■ Normalzeit: „Eine Frau ist nix geworden!“
Christiane Krause (39) kellnerte bis vor kurzem im Café „Jo“ des Jojo-Clubs in der Wilhelm- Pieck-Straße. Dieser Brotjob mißfiel ihr aber bald. Eigentlich ist sie Historikerin. 1985 verteidigte sie ihre Dissertation „Zur Entwicklung der FDJ-Hochschulgruppe an der Universität Rostock 1945-52“. Im Dezember '92 wurde sie von einer Universitäts-Ehrenkommission aus der Lehre entfernt. Vielleicht war sie ein zu entschiedener FDJ-Kader? Nichtsdestotrotz arbeitete sie aber ihre Diss. noch zu einem Buch um, das jetzt im „Norddeutschen Hochschulschriftenverlag“ erschien: „Studenten im Aufbruch“. Von diesen Brechern wurden später fast alle irgendwas Wichtiges – im Osten und im Westen, einer z.B. Justizsenator in Westberlin.
Dr. Krauses „Beitrag – nicht nur zur Rostocker Universitätsgeschichte“ widerlegt erst einmal die These, wonach es keine Oral history im Osten gab: Für ihre Untersuchung nahm sie ein Babyjahr in Anspruch: „Dann habe ich mein Kind genommen, es ins Auto gepackt und bin zu den Leuten hingefahren, um sie zu befragen.“ Mit der Wende besuchte sie die im Osten noch einmal: „,Habt ihr mir damals die Wahrheit gesagt?‘ Bis auf einen unterstützten mich alle.“ Dazu kamen dann noch Befragungen von in den Westen gegangenen ehemaligen Studenten. 40 Dozenten und 550 Studenten gab es damals insgesamt, im Februar 1946, von denen Christiane Krause 42 interviewte, und diese kennen sich nach wie vor alle untereinander. Es gibt sogar einen gesamtdeutschen „Verband ehemaliger Rostocker Studenten“.
Der VERS-Vorstand unterstützte ihr Forschungsvorhaben anfänglich, „dann, ab 1990, blockierte er aber“. Zum 575. Universitätsjubiläum sollte es eine Gedenkschrift geben. In der durfte Frau Krauses „Beitrag“ zwar nicht erscheinen, aber immerhin bewirkte er, daß ein anderer Beitrag über die Jahre 1946 bis '52 fallengelassen wurde: Die davon Betroffenen „hatten später hohe Positionen in der DDR und in der BRD inne, welche wurden auch von den Sowjets verhaftet und kamen nach Workuta, einer, Arno Esch, wurde in Moskau erschossen. Es gibt Bestrebungen, die Rolle der Liberaldemokratischen Partei an der Uni, um Esch, jetzt besonders zu betonen. Ebenso, sich als wahnsinnig verfolgt darzustellen. Und deswegen auch schon seit längerem Streit über die Anfangsjahre bis zur letzten Studentenratswahl im Februar 1950.“
Die Streitereien offenbaren, daß die Lehrenden und Lernenden „nach dem Zusammenbruch“ in ähnlicher Weise um einen „neuen Weg“ rangen wie heute z.B. die Humboldt-Universitäts-Leute: „Von 1946 bis 1948 waren alle Wege noch offen, so wie jetzt – bis zu den Märzwahlen 1990.“ Bei der Beantragung der Universitäts-Wiedereröffnung Ende '45 betonte das Kuratoriums-Gremium, nachdem es vom Professor bis zum Boten alle gegauckt hatte, eine „politisch einwandfreie Haltung und Gesinnung garantieren“ zu können. Die auf sowjetische Weisung handelnde Landesregierung lehnte jedoch ab, weil zu wenige Nicht- NSDAP-Professoren aufgeboten werden konnten. Man versuchte daraufhin, „jene ausfindig zu machen, die in der Zeit des Nationalsozialismus gemaßregelt worden waren“. So ist es auch jetzt wieder!
Neu ist hingegen: daß „der Umgang mit der eigenen Vergangenheit im Osten eher „normal“, aber auch unkritischer und kollektiver war, während die Individualisierung im Westen „zu einer stärkeren Wahrnehmung, zu einem intensiveren Erinnern führte“, so Christiane Krause. Heiner Müller behauptet genau das Gegenteil. Helmut Höge
Wird fortgesetzt
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